Schönheit des Dos

Entweder lassen wir es zu, dass Aufgaben von außen herantreten oder aber, wir probieren uns aus und holen die Herausforderung selbst ab. In der Kampfkunst geschieht beides:

Die offenen Fenster waren ein „Muss“, auch wenn sich die Wärme an der Häuserwand hoch schlängelte, über die Rahmen floss und mit einer sagenhaften Leichtigkeit die Luft des Dojos um einige Grade ansteigen ließ.

Wir bemerkten es nicht. Konzentriert standen wir uns gegenüber, kurze Distanz und bewaffnet mit dem Fukuro Shinai. Langsam senkten wir die Schwerter und platzierten sie jeweils rechts hinter der Hüfte außerhalb des frontalen Blickfelds. Der Fokus blieb aber vorn. Jedes Bewegen, jedes Zucken mit den Händen oder Füßen, jede Schwerpunktverlagerung oder Hüftdrehung wurde registriert. Noch war die Mittellinie frei, gleich nicht mehr. Die Intuition, das eigene Bauchgefühl, gab den Startschuss für die erste Bewegung. Das war eine Art Wettkampf und machte einfach Spaß, da es ernsthaft und verspielt zugleich die Kräfte maß.

Doch nun galt es etwas zu lernen, was mir bisher nur schwer gelang und ich wollte verstehen und vor allem erkennen, woran es lag.

Als Angreiferin oblag es mir, mich ins Getümmel zu werfen. Doch jedes Mal blieb der Angriff in Form eines Bauchstoßes unvollendet. Mein Shinai erreichte nicht mal die Mittellinie, bevor mein Gegenüber mit einer Technik den voran stürmenden Impuls im Sande verlaufen ließ. Ich war zu langsam oder bekam nicht genug Energie hinein oder beides. Das wurmte.

Wenn wir die Rollen tauschten, sah ich, was möglich war. Ok, meine Trainingspartnerin besaß gefühlt tausend Jahre mehr Erfahrung, trotzdem, ich sollte mein Tun besser unter Kontrolle haben! Ich musste mich doch selbst so lenken können, wie ich es wollte!

Kontrolle ist nur möglich, wenn wir wissen, was wir zu kontrollieren haben. Deshalb galt es erst einmal zu verstehen, was überhaupt geschah oder auch nicht. Wir verlangsamten den Bewegungsfluss, zogen ihn auseinander und betrachteten die einzelnen Bilder.

Und schon zeigte sich, was schief lief: Ich wählte nicht den direkten Weg, sondern holte viel zu sehr im Bogen aus und ich bewegte meinen Körper, bevor ich an das Schwert dachte. Außerdem besaß mein Bogen eine kleine Ecke, die jegliche Kraft verpuffen ließ, als wäre der Weg ein undichter Schlauch. Im Grunde genommen musste ich mein Prinzip in der Herangehensweise gänzlich verändern; solch ein Angriff war kein Ziehen des Schwertes und dann nach vorne preschen, sondern eher das Treffen eines ganz bestimmten Punktes mit einer einzigen durchlaufenden Bewegung.

Oh man, das war eine Menge!

Gut, daran konnte ich arbeiten. Jetzt musste ich nur noch meinen Körper dazu bringen, es zu tun. Also suchten wir eine losgelöste Übung, die das Prinzip aufnahm und jeglichen Gedanken an eine Technik überhaupt nicht brauchte:

Mein Gegenüber zog das Schwert von links nach rechts, um meinen Bauchstoß einfach aus der Linie zu bringen. Ich sollte den Kontaktpunkt mit einer Bewegung mittig treffen, ohne Unterbrechung, ohne langen Weg und ohne Überlegung. Ziehen und Treffen, mehr nicht.

So zog ich, immer und immer wieder. Der Schall der Schläge folgte dem Pfad der Wärme und fand seinen Widerhall im Hof. Für mich verschwand alles im Fokus. Ohne weiterführenden Gedanken ließ ich mich ins Tun fallen und fühlte mich wie auf einem Abenteuerspielplatz, der gerade erst die Tore öffnete.

Lernen ist grenzenlos wundervoll!

Die Zusammenarbeit zwischen Körper und Geist zeigt sich in der Waffenarbeit überdeutlich und hilft, ein besseres Verständnis für sich selbst zu finden. Jede Waffenstunde ist auch eine ganz normale Aikido-Stunde, die den Körper zurechtzupft, das Zentrum verdeutlicht, die Achse bewusst werden lässt und vor allem das Empfinden der eigenen Sphäre Ausdruck verleiht. Oder anders ausgedrückt:

Aikido makes people happy!


Anm.:

Do = der Weg/ Pfad

Fukuro Shinai = Übungsschwert aus Bambus, überzogen mit Leder. Als ich übte, gelang es mir ab und an, den im Shinai befindlichen Bambus flattern zu lassen, die Wucht ließ ihn vibrieren, hach!