Das Überraschende an einem Durcheinander liegt nicht im Wesen desselben, sondern in dem eigenwilligen Vorhandensein einer festgelegten Struktur, die sich nur nicht immer zeigen möchte. Alles besitzt seine Form. Selbst das Kuddelmuddel eines Wollknäuels, das durch die Tatzen einer Katze lief, offenbart das Eigene oft erst in der äußeren Entscheidungsfindung, inwieweit sie noch in ihrer Bestimmung gerecht wird.
So stand ich inmitten von Menschen. 70 Millionen Jahre alter Sandstein ragte keine zwanzig Meter weiter imposant in einen Himmel, der eben noch sein Bestes gab, um sein Vorhandensein eindrucksvoll zu unterstreichen. Meine Regenjacke triefte vor Nässe. Hier in der Gegend kannten die Wolken keinen Hamburger Nieselregen, sie kannten nur den Hebel am Wasserkübel. Immerhin war es warm; so verdampfte die Nässe recht schnell, also nicht schlimm.
Sogar die Sonne zeigte sich, als wolle sie mir bewusst ein Lächeln entlocken; klappte ganz gut … ich schaute mich um: Ein klein wenig Tourismus war für mich ok, doch das? Überall liefen Menschen, einzeln oder in Gruppen, mit oder ohne Hunde, laut oder leise. Absperrbänder baten mit ihrem Rot-weiß um Aufmerksamkeit und verhinderten den freien Zugang an mehreren Stellen zu den Steinen. Das glaubte ich jetzt nicht! Heraufklettern durfte ich in dieser halben Stunde nur, wenn ich zu der Gruppe der „Elfenbeintürmler“ gehörte. Eine Eintrittskarte, die es 300 m weiter hinten in einem Zentrum gab, wäre mein goldener Schlüssel. Tief Luft holend arbeitete ich hart an meiner Akzeptanz.
Wollte und musste ich überhaupt da hoch? Was ich wissen wollte, hatte nichts mit Höhe zu tun; also nein. So umrundete ich langsam diesen von der Erde hochgeschobenen Teil eines Gebirgszuges und ging von den Wegen ab, ignorierte Brennnessel, Brombeersträucher und unwegsame Gesteinsbrocken und hangelte mich immer näher, bis ich fast mit meinem Gesicht genau vor dem alten Riesen stand.
Er war gezeichnet, gezeichnet von den unendlich vielen Menschen, die dem Uralten einen Stempel aufdrückten. Gravierungen jeglicher Art aus allen möglichen Zeiten erzählten Geheimnisvolles zum Entschlüsseln, Privates zum Bekanntwerden oder präsentierten einfach ein „Ich war hier“. Meine Finger fuhren über diese rauen und doch feinen Rillen. Fühlten sie sich unterschiedlich an? Lag in ihnen irgendetwas von den Verursachern? Irgendwas? Nein, es waren lediglich Spuren; es waren Vertiefungen, die wie der gezeichnete Sand in einer kommenden Welle des Elementes versinken würden.
Ich lehnte mich an den Stein. Dies hier war ein sakraler Ort: irgendwann war er einmal in seiner Bedeutung ein heidnisches Heiligtum und irgendwann einmal eine christliche Stätte. Dieser Ort zog Menschen aus unterschiedlichen Gründen an; mich brachte die Neugier.
Vor den Augen anderer geschützt und inmitten des ganzen Gestrüpps ließ ich mich in das Ver-rückt-sein fallen, das an solchen alten Orten seine Einladung aussprach. Nicht greifbar, nicht aufdringlich, nicht bedrängend, nur vorhanden, gleich dem Nebel des ersten Herbstmorgens, der Diamanten an die unzähligen Spinnnetze hängt.
Ich fühlte mich umwoben. Vielleicht war es die aufsteigende Wärme, der lange erschöpfende Fußmarsch oder meine Einbildung, aber ich fühlte es. Unter all den verwirrenden Eindrücken, unter all den Stimmen, Lachen und Geräuschen, fühlte ich ihn, diesen Alten.
Ja, ich war an einem sakralen Ort, an einem Ort, der Menschen zu sich zog. Der Ort entstand aber nicht durch Menschen und all ihren Bemühungen hier etwas für ihren Glauben entstehen zu lassen. Dieser Ort entstand überhaupt nicht, nicht nach unseren Vorstellungen. Er war einfach da, seit 70 Millionen Jahren. Er besaß sich selbst, egal was um ihn herum seine Aufmerksamkeit suchte oder was mit ihm geschah. Er behielt seine Form und das Wesentliche. Er war er und das konnte ihm keiner nehmen.
Beeindruckend.

Photo by Markus Spiske on Unsplash
Ah, hast Du die alten Drachensteine besucht. Ich schlage mich immer gerne, etwas ab vom Tourismus hinten in den Wald zu den Bärensteinen. Dort, wo es wunderbaren Blaubeer-Felder gibt. Ein wahrhaft beeindruckender Ort. Ich war zuletzt vor zwei Jahren dort – nicht zuletzt wegen der Blaubeeren. – Bist denn Du auch aus Hamburg, weil Du von dem Hamburger Niselregen sprichst? Liebe Grüße, Susanne
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Die Blaubeerensträucher! Ja, die habe ich gesehen und überall entlang der Pfade fand ich sie, einfach klasse Überhaupt die Gegend besitzt so viele wunderbare Ecken, Aussichten und besondere Wege! Nur die Höhenunterschiede waren wirklich eine Herausforderung für mich, lach … am Ende eines langen Wandertages schlich ich mit Rucksack bepackt eine 20%-Steigung hinauf, als mich fröhlich ein älterer Herr überholte und mir beim Überholen zuzwinckerte, glaub mir, das vergisst sich nicht so schnell 😀 Ich habe einige Jahre direkt in Hamburg gewohnt, doch nu findest du mich im nördlichen Randgebiet 30 km entfernt…bist du Hamburgerin? Liebe Grüße, Christine
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Jo, ne ‚Hamburger Deern‘, die es nun aber auch weiter in den Norden verschlagen hat aufs Land. Ich arbeite aber noch in Hamburg. Das mich ältere Menschen beim Wandern überholen, passiert mir Flachländler natürlich auch regelmäßig, aber ich bin eh eine Schnecke. Herzensgrüße, Susanne
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Dann können wir uns beide Schnecken ja zusammen tun, grins, wir genießen halt jeden Zentimeter! 😀 Wie schön zu wissen, dass du gar nicht so weit weg bist! Herzensgrüße, Christine
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Erinnert mich ein wenig an den Uluru, den Heiligen Berg der Aborigines in Australien. Wie die Externsteine unübersehbare Landmarken, um sie verehren.
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Ich muss ja gestehen, jetzt musste ich erst mal nachschauen, wie das gute Stück aussieht. Der ist ja noch eine Ecke älter! 550 Millionen Jahre und riesengroß! Dass dieser Menschen anzieht, kann ich verstehen. Danke Dir, Werner! 🙂
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