Die Tango-Schule feierte heute mit Ausschank auf dem Hof. Aikido mit Musik war eine unschlagbare Kombination, doch nur im rechten Maß. An den heißen Sommertagen wehten oft die harmonischen Klänge, Gesang oder auch Klavierspiel bis zu uns auf die Matte im ersten Stock. Eine schöne Art des Da-Seins; eine Form von Dualität, die sich ausglich und in einem Selbst als Widerschein fast greifbar werden konnte. Doch heute rückten die Randgeräusche zu nah. Die erklärenden Worte unseres Lehrers erreichten nur bruchstückhaft das Ende des Raumes. So schlossen wir die großen Fenster für eine Weile.
Im Seiza sitzend hörten wir Matthias zu. Wie so oft spiegelte das Äußere das wider, was wir in den Stunden thematisierten und selbst erarbeiteten. Es ging um „Raum“. Es ging um den Raum, den wir selbst benötigten und viel zu selten zum Ausdruck brachten. Mit weit ausladenden Armen und Händen zeichnete unser Lehrer seinen eigenen. Eine Art von Rund-Sein am ganzen Körper. Dies sollten wir vor unserem inneren Auge visualisieren und in einer nachfolgenden Übung aufrechterhalten. In einem dafür abgesteckten kleinen Mattenbereich durchschritten wir ruhig immer wieder die Gruppe. Eine Berührung war erlaubt, aber ein Einknicken des gedachten Raumes sollte nicht geschehen.
Es war nicht gerade üblich, sich noch ein Stück weit außerhalb des Körpers zu sehen. Im ersten Moment fühlte ich mich wie ein Michelin-Männchen: aufgeplustert und rund, fast unförmig in der Bewegung. Als der witzige Gedanke verflog, konnte ich mich mehr konzentrieren … Es war im Grunde etwas, was uns sozusagen als Geburtsrecht gegeben wurde. Jeder durfte Raum für sich beanspruchen, jeder sollte Raum für sich beanspruchen. Wenn er dies nicht tat, dann wurde dieser unweigerlich in einem Miteinander beschnitten. Immer frei nach dem Motto: „Wer nicht sagt, der nicht bekommt“ … Es war ein Miteinander gleich Öl und Wasser; jeder nahm sich so viel, wie er brauchte. Gab es nicht mehr, wurde gleichmäßig beschnitten, wenn es gut lief …
Umgesetzt in einem Kampf hieß dies auch, sich diesen Raum nicht nehmen zu lassen. Wer einforderte, der bekam Raum und veränderte damit den Status quo. Die Waagschale eines Miteinanders verschob sich. Um dies für sich selbst zu nutzen, musste der ganze Körper mitarbeiten: Besaßen die eigenen Arme keinen Raum, dann mussten die Füße diesen suchen. Passte die Höhe nicht, dann sollten sich die Knie beugen. Verloren wir den Halt, dann dehnte sich die nach außen gedachte Kugel zur Seite weg und entzog sich der Einwirkung. Egal, was wir taten, wir sollten diesen nach außen wölbenden Teil unseres Selbst nicht aufgeben!
„Raum“ gehörte zu den wirklich noch magischen Dingen dieser Zeit. Er war da, obwohl wir ihn nicht sehen konnten. Er verschwand, wenn wir ihn uns nicht nahmen. Er existierte mit oder ohne Welt oder mit oder ohne uns. Er blieb immer das, was er war und veränderte sich nur im Auge des Betrachters.
Unser Do[1] durchlief so manches Mal Schlaufen und Umwege. Vielleicht brauchten wir sie, um überhaupt von einem Außen sehen zu können, wie viel „Raum“ uns das Leben wirklich zu jeder Zeit zur Verfügung stellte. Er war da …
… und wir sollten es auch sein!
Trainer: Matthias Lange, 5. Dan
Trainingsort: https://aikidozentrum.com/
[1] Jap. Weg
ich denke manchmal, das, was du machst, wäre mir zu spirituell. Heute finde iuch mich wieder. Das ’nur wer sagt, bekommt,‘ höre ich im Moment alle 2 Wochen.
Danke für diesen Beitrag…
lg wolfgang
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Lieber Wolfgang,
Danke Dir für Deine Worte! Ich freue mich! Aikido bietet das volle Spektrum. Es gibt Aikidoka, die die Kampfkunst unter dem sportlichen Aspekt sehen, da der Körper bis ins hohe Alter geschmeidig gehalten werden kann; andere suchen die Herausforderung, da mit den eigenen Händen ein Angriff gemeistert werden kann und wieder andere verbinden mit dem Lernen auf der Matte auch ihr eigentliches Tun. Jeder wie er mag, das ist das Tolle an Aikido, für jeden ist etwas dabei. Ich wünsche Dir noch einen schönen Sonntag! Lieben Gruß Christine
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