Ein Schritt zur Seite …

„Na, da können die 5. Kyus doch am besten heute geprüft werden!“ Leichtes Zusammenzucken links und rechts von mir, zeigte die Wirkung der Worte. Das „heute“ hörte sich doch ganz schön nah an! Obwohl ich überhaupt nichts zu befürchten hatte, da ich keine Prüfung ablegen wollte, schlich sich die Empfindungen der anderen in mein Zwerchfell. Ich konnte sie so gut verstehen!

Gemeinsam mit fast dreißig anderen saß ich am letzten Wochenende in einem schönen Dojo in Berlin, um das Prüfungsprogramm etwas unter die Lupe zu nehmen. Bevor die erste Stunde begann, fragte ich mich wirklich, wie alles überhaupt in dieser Zeit absolviert werden sollte. Nach der ersten Einheit ergab sich die Antwort von ganz allein: Es ging nicht darum, jeden einzelnen Angriff, jede einzelne Technik oder Besonderheit zu erfassen und abzuhaken. Es ging um etwas viel Wesentlicheres! Es ging um das sichere Gefühl des „Wir-schaffen-das“!

Prüfungen waren ein besonderes Thema für sich und jeder kannte das unrunde Gefühl, wenn wir kurz vor einer standen. Vielleicht gehörte Nervosität einfach dazu; vielleicht erhöhte das Festlegen auf einen zeitlichen Punkt den Fokus und zwang den Prüfling, wirklich nur das zu zeigen, was sich sein Körper im Training angeeignet hatte.

Aus eigener Erfahrung wusste ich nur zu gut, wie schnell der Kopf die leere Wüste simulierte und damit den Körper irritierte. In einem ruhigen Modus schienen die Aufgaben von ganz alleine ihre Lösung mit sich zu bringen. Veränderten sich die Bedingungen, so flüchteten die Antworten ins Universum. Da stand ich dann da und fragte mich, ob ich denn bitteschön ganz allein auf dieser Erde wandelte, denn das konditionierte Unterbewusstsein hatte sich schon mal verabschiedet und kam anscheinend auch nicht wieder.

Welchen Sinn und Zweck hatten dann Prüfungen? Mittlerweile war ich alt genug, um es mir auszusuchen, ob ich diesen Schritt ging oder nicht. Ja, es ließ sich ganz einfach boykottieren und sagen, ich bleib halt da, wo ich war. Das fühlte sich ungefähr für zehn Minuten gut an. Doch dann kroch etwas am Hals hoch, das unrund werden ließ und die bombensichere Entscheidung einfach den Abgrund herunter schmiss.

Warum war also diese innere Gelassenheit so schwierig? Sie kam mir vor, wie eine selten vorkommende Superkraft, die nur den Eingeweihten machbar schien. Doch intuitiv war mir klar, dass es lediglich der Übung bedurfte. Waren die Prüfungen auf der Matte nicht die perfekten Vorlagen dazu? Ich schaute mich um. Die geöffneten hohen Fenster zum Hinterhof ließen die Sonne fast bis zur Mitte des Raumes herein kommen; eine frische Brise brachte das Gefühl des fast Draußen-Seins und das Vogelgezwitscher aus den nicht zu sehenden Nestern vermittelte eine Leichtigkeit, die sich nicht verlor.

Ich war so gern auf der Matte! Die Spiralbewegungen brachten den Aikidoka so leicht in die mentale Vertiefung der Tätigkeit, in den Flow-Zustand. Es war die feine Linie zwischen nicht zu schwer und nicht zu leicht, die das Können in Gänze herausforderte … Ich schaute nachdenklich aus dem Fenster.

Das hätte auch eine Beschreibung für eine Prüfung sein können …

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Trainer: Ulrike Serak, 6. Dan und Max Eriksson Ohlwein, 5. Dan

Trainingsort: https://www.aikido-dojo-gleisdreieck.de/de/