Die Wucht der Entspannung

Wenn sich auf der Matte weniges als vieles präsentierte und runde Bewegungen wie bei einem Dynamo immer mehr Energien hervorriefen, dann breitete sich ein inneres Gute-Laune-Gefühl aus. Kokyū nage! Eindeutig eine meiner Lieblingstechniken! Ohne einen Hebel oder einem bestimmten Griff zeigte sich Intensität mit Auswirkungen, denn kraftvoller Schwung entstand einfach so.

Am Anfang erschien mir die äußere Handhabung so simpel, so einfach und so schnell erlernbar: Der Angriff wurde mit der Hand aufgenommen, mit einem kleinen Schritt zur Seite verließ man die Linie und eine entspannte Bauch-Atmung senkte das eigene Zentrum, um schließlich den Angreifer mit den Händen führend gen Boden zu schicken. Es war für mich absolut schwer nachvollziehbar, woher diese erhöhte Energie nun wirklich kam.

Um den Eigentlichen näher zu kommen, demonstrierte unser Lehrer die ersten Anhaltspunkte:

Tief stehend mit dem Schwert in der Hand ließ Matthias seinen Angreifer, der seine Kehle fassen wollte, auf sich zukommen. Leicht aus der Angriffslinie heraustretend, führte er das Schwert am ausgestreckten Arm entlang und zog es mit einem kleinen geschwungenen Halbkreis quer über den Körper seines Gegenübers. Die Haltung blieb gerade. Der Oberkörper sollte nicht einknicken. Die vertikale Haltung war wichtig, als stützte der Himmel uns mit einem unsichtbaren Faden. Ein kurzes Innehalten in diesem tiefen Stand war dann nicht mehr anstrengend.

Das gleiche Prinzip galt nun auch ohne Waffe. Die Verbindung zum eigenen Zentrum und die damit gekoppelte Stabilität blieben aufgrund des geraden Rückens ununterbrochen. Das war noch gut machbar, auch wenn ich mich immer wieder korrigieren musste, um nicht dem Impuls meiner Hände nach vorn zu folgen.

Wesentlich schwerer empfand ich die notwendige innere Haltung der Entspannung. Ein Kampf mit den Händen oder mit Waffen hatte bisher in meinen Augen immer etwas mit Anspannung zu tun, sei er ernsthaft, sportlich oder spielerisch motiviert. Jegliches inneres Festhalten sollte nun aber herabfließen, als bestünde ein Durchlass vom Kopf bis zu unseren Füßen, der schließlich alles Überschüssige an die Erde abgab. Im ersten Moment empfand ich dieses Vorgehen, als müsste ich zwei gleiche Pole vereinen, die sich bei einer Annäherung gezwungen fühlten.

Ziemlich deutlich zeigte Matthias anhand eines Bruststoßes den Unterschied. Mit einer angespannten Haltung war dieser beim Angreifer schon bemerkbar, aber mit einer inneren Entspannung bei der Durchführung der Technik kam es zu einer sichtbaren Auswirkung, als sprenge er sein Gegenüber mit der Berührung zwei Meter weiter.

Ein innerliches Loslassen schaffte Raum. Es schaffte Raum für eine Verbindung, die nun die Freiheit besaß, sich zu entfalten. Uns ist es möglich, mit beiden Händen den Puls der Energien zu erfassen. Er trägt …

Einfach schön.


Trainer: Matthias Lange, 5. Dan

Trainingsort: https://aikidozentrum.com/


 Anm. z. Titelbild:

Bokken mit dem Trigramm des Windes.

Die japanische Bezeichnung Kokyū besteht aus zwei Worten: Ko bedeutet ein Ausatmen und Kyū ein Einatmen; beides zusammen ist die Atmung, die uns zu der notwendigen Entspannung führt.