Pow Wow

Bewusst behielt ich meine Hände in der Jeansjacke. Ich würde sonst noch fragen, ob ich die wunderbare traditionelle Kleidung der mir entgegen kommenden Native Americans einmal berühren dürfte. Tief beeindruckt ging ich über das riesengroße, mit Menschen fast überfüllte, Gelände. Die Farben des Regenbogens schillerten auf Stoff, Leder und in den Gesichtern. Ich fühlte mich, als schlenderte ich durch eine überdimensionale Blumenwiese in einem besonderen Tal.

Laut des am Eingang erhaltenen Positionsplanes musste ich mich nun am Areal für die Vorführungen befinden. Überraschenderweise fand ich recht weit vorn einen freien Platz neben einer älteren Frau mit ihrer Enkelin. Rhythmische Trommeln kündigten gerade die nächste Aufführung an. Erwartungsvoll schaute ich auf den Platz. Das kleine Mädchen neben mir konnte ihre Füße kaum still halten, vermutlich wäre sie am liebsten auch zu den jungen Frauen gelaufen, die sich sammelten und mit dem Blick zum Boden selbstvergessen den Klängen folgten. Flink und mit Leichtigkeit bewegten sich die mit Muschelperlen verzierten Mokassins. Immer nur auf den Fußspitzen den Boden berührend entstand ein gleichförmiges Wippen, das die unzähligen aufs Kleid genähten Silberzapfen zum Klirren brachte; eine zweite musikalische Stimme zu den Trommelklängen entstand.

Eindringlich pulsierte der Rhythmus über den Platz. Er fing mich ein und ließ mich mitwippen. So ging es auch dem kleinen Mädchen, deren Aufmerksamkeit voll und ganz bei den Tänzerinnen lag, ihre Hände klatschten begeistert mit. Beruhigend legte die Großmutter ihre Hand auf die Schulter ihrer Enkelin; der Stand der kleinen Fußzehen sank wieder in eine normale Position. Etwas aufmüpfig schaute die Kleine ihre Oma an und zeigte mit der freien Hand auf mich. Ich verstand nicht, was die Großmutter sagte, aber die ausgestreckte Hand wurde blitzartig wieder eingezogen. Ich konnte ein Lächeln kaum unterdrücken.

Direkt vor uns tanzte eine besonders schöne junge Frau mit einem Kleid in einem intensiven Blau-Weiß. Silbrige Zapfen hingen ihr in geschwungenen Bahnen ab Hüfthöhe am Kleid. Schwarz glänzte ihr fest zusammengebundenes Haar unter dem weißen Stirnband und betonten die vor Konzentration und Bewegung ebenmäßig glühenden Züge. Sie tanzte für sich und gleichzeitig für uns alle, sie tanzte für den Himmel und die Erde. Ihre Energie schlug uns in den Bann.

Mit dem letzten Trommelschlag konnte sich das kleine Mädchen nicht mehr zusammen reißen, lief zu dieser jungen Frau und fiel ihr rufend in die Arme. Mit viel Lachen und Reden zeigte sich, dass es die Schwester war. Anscheinend stand ich inmitten einer kleinen Familie, die eine Angehörige bei ihrer Vorführung begleitete. Nachdem sich die Emotionen ein wenig gelegt hatten, sprach ich die Tänzerin an. Ich erzählte ihr von meiner Begeisterung und wie schön ich ihren Tanz empfand.

Mit einem noch von der Bewegung leuchtenden Gesicht bedankte sie sich und ich meinte noch zu ihr, dass ich mir wirklich wünschte, ebenso auf diese Art und Weise tanzen zu können. Das kleine Mädchen, das unserer Unterhaltung bisher sehr genau gefolgt hatte, wartete nun auf die Antwort ihrer Schwester. Als diese aber nur glücklich lächelte und nickte, musste sich die Kleine nun doch in die Unterhaltung einbringen.

Zu der Tänzerin gewandt meinte sie: „Chosovi, das kann sie doch nicht, oder? Sie gehört doch nicht zu uns!“

Das Lächeln im Gesicht der Tänzerin gefror und ich hörte die junge Frau mit der Großmutter gleichzeitig die Luft einatmen. Als hätten beide Frauen den gleichen Gedanken, sprachen sie den Namen des kleinen Mädchens mit einem scharfen Ton aus. Ganz so schlimm fand ich es nun nicht, denn schließlich hatte der kleine Zwerg ja Recht. Ich gehörte nicht dazu. Doch ich musste zugeben, das Gesagte gab mir einen kleinen Stich.

Ich wollte mich gerade wieder auf den Weg machen, als mir die Tänzerin ihre Hand auf meine Schulter legte, die Hand ihrer Schwester ihrer Großmutter gab und mich bat mitzukommen. Irritiert schaute ich sie fragend an, doch eine Erklärung war mir nicht vergönnt. Ihre Hand zog mich einfach durch die Menge.

Als sie schließlich stehen blieb, befanden wir uns auf der rückwärtigen Seite des Tanzplatzes im Schutze von diversen Aufbauten und Zelten. Einige Tänzerinnen übten hier zusammen miteinander, um ihrer Choreografie einen letzten Schliff zu geben. Inmitten aller standen wir nun hier. Fragend schaute ich sie an. Sie lächelte, legte ihre Hände wieder an meine Schultern und schaute nickend auf unsere Füße.

„Wenn es nach meiner Großmutter ginge, dürften wir nicht unsere Füße kreuzen, nicht rückwärtsgehen und auch niemals einen Kreis vollständig schließen.“

Verschmitzt lächelte sie mich weiter an: „Doch sie ist jetzt nicht hier und du bleibst mit deinen Füßen nah zum Boden und versuchst, nicht mit beiden Füßen gleichzeitig zu stehen.“

Vielleicht lag es an der Wärme, vielleicht auch am stetig wehenden Wind oder wahrscheinlicher Weise eher an meiner aufkommenden Aufregung, mein Hals war ganz trocken. Chosovi bemerkte sofort meine innere Unruhe und verstärkte den Druck mit den Händen an meinen Schultern.

„Meine Jingles klingen nun für uns beide!“ Aufmunternd lächelte sie mich weiterhin an. „Hörst du die Trommeln?“

Etwas entrückt horchte sie in den Wind. Auf dem Tanzplatz gab es wohl eine weitere Vorführung. Langsam begangen ihre Füße dem Rhythmus zu folgen und ich tat es ihr noch etwas verhalten gleich. Konzentriert schauten wir beide zu Boden. Automatisch spiegelte ich sie in ihren Bewegungen. Unsere Füße tippten leicht auf, als wäre es ein leichtes Anstupsen der Erde, als wollten wir sie auf uns aufmerksam werden lassen. Das Hören der Trommeln, das Hören der Jingles, das Fühlen des dadurch entstehenden Rhythmus, das Sehen der bunten Farben und das silbrige Glänzen der sich bewegenden Zapfen am Kleid, das Wahrnehmen des eigenen Atmens und schließlich das Bemerken einer aufkommenden Freude, die meine Haut mit Gänsehaut überzog und mich einfach glücklich im Jetzt hielt, erfüllte mich.

Völlig außer Atem blieben wir stehen, als die Trommeln verstummten. Mein Puls folgten noch ihren nicht mehr zu hörenden Klang.

„Ich danke dir sehr! Das war wunderschön!“, sagte ich und musste nun doch noch eine Frage stellen:

„Warum hast du es mir gezeigt? Deine kleine Schwester sagte doch,…“

Ernsthaft schaute mich Chosovi an: „Meine kleine Schwester hätte es nicht sagen dürfen! Sie hatte dich verletzt und ich wollte, dass du uns so nicht in Erinnerung behältst!“

Ich legte meine Hand auf meine linke Seite und verbeugte mich so, wie ich es schon bei anderen heute gesehen hatte. Die Tänzerin verbeugte sich ebenfalls und zeigte schließlich mit der Hand zu dem Blau über uns:

„Dort oben stehen unsere Herzen am unendlichen Himmel[1]“, dann schaute sie mich an, „deines auch!“

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[1] F. Densmore, Pawnee Music, aus: Worte wie Spuren, Weisheit der Indianer, Freib.i.B., 2002, S. 31.

Anm. z. Titel:

U.a. ein Treffen der Native Americans. Dort wird getanzt, gesungen, alte Freunde getroffen und neue Freunde kennengelernt und Wettbewerbe veranstaltet.

Mehr dazu unter: http://www.powwows.com

Anm. z. Text:

Der Tanz der Frauen mit dem Jingle Dress besitzt eine eigene Geschichte. Sie wird manchmal etwas unterschiedlich erzählt, aber das Wesentliche besagt:

Ein Ojibew Mädchen wurde sehr krank. Ihr Vater hatte Angst sie zu verlieren; er sah in einer Vision ein spezielles Kleid und einen speziellen Tanz. Er nähte dieses Kleid und bat schließlich seine Tochter mit „frühlingshaften“ Schritten sich zu bewegen; es sollte immer nur ein Fuß auf dem Boden aufkommen. Sie begann sich besser zu fühlen und tanzte weiter, bis sie schließlich gänzlich genas. Sie wurde eine der ersten Jingle Dress Women. (siehe auch: https://newsmaven.io/indiancountrytoday/archive/origins-of-women-s-jingle-dress-dancing-g3WkMh6AmECyELjx3rZavw/ )

Als ich mir den Tanz anschaute, wusste ich, dass ich an diesem Nachmittag einen ganz besonderen Gedanken mit nach Hause nahm:

Wer Visionen mit sich trägt, der wird von ihnen in eine Zukunft gezogen!