Die unsichtbare Brücke

Vielleicht möchte ich mit dem Heißluftballon über Kanadas Wälder fliegen, so tief, dass ich die Baumspitzen berühren kann. Vielleicht möchte ich von einer Klippe in das blau-grüne Wasser springen, um den Grund des Meeres mit den Augen einer Meerjungfrau sehen zu können. Vielleicht möchte ich über heiße Kohlen an einem Südseestrand gehen, einfach um zu schauen, ob Meditation die Schmerzen meines Körpers wirklich so ausblenden kann. Wer weiß das schon. Es liegt an mir.

Vielleicht möchte ich einen ganzen Sommer lang den Vorlesungen von Seligmann folgen, der an einer Universität in Philadelphia die Positive Psychologie lehrt. Vielleicht möchte ich auf Goethes Spuren Italien bereisen und jedes einzelne Kunstwerk, jede einzelne Kirche und jeden Hain auf meinem Weg erkunden, berühren und darin aufgehen. Vielleicht möchte ich tausend Bäume am Äquator pflanzen, da mich die Abholzung in stillen Stunden zutiefst betrübt; wir zerstören unsere Zukunft und nehmen unseren Kindern die Luft zum Atmen. Wer weiß das schon. Es liegt an mir.

Vielleicht möchte ich an einem privaten Pow-Wow der Hopi teilnehmen, um mit ihnen durch ihre Welt zu tanzen. Vielleicht möchte ich mit Aikidokas durch das Land reisen, bis mich Heimweh wieder nach Hause holt. Vielleicht möchte ich eines Nachts auf dem Preikestolen mit erhobenen Händen stehen und das Funkeln der Nordlichter in grün und blau auf mich herabregnen lassen. Wer weiß das schon. Es liegt an mir.

Was immer es ist, alles ist machbar.

Welche Richtung ich auch einschlage: Jeder Weg braucht einen ersten Schritt. Es ist ein vorsichtiges Ertasten des Grundes und ein Erfühlen meines Inneren, wie sehr mein Wunsch bereits mein Herz erreicht hat. Ist es nur eine Idee? Ist es eine Vorstellung, die mich reizt? Ist es mein erster Gedanke am frühen Morgen?

Gibt es ein ganz großes Ja? Wo fange ich dann an?

Ganz, ganz nah: bei mir selbst. Angenommen, das Universum ist für jeden Einzelnen verschwenderisch. Angenommen, Geld oder Beziehungen spielen keine Rolle. Angenommen unsere Aufgabe liegt lediglich darin, mit unserem ganzen Sein den ersten Schritt in die von uns gewünschte Richtung zu wagen. Angenommen, ich ließe mich auf diesen Gedanken ein.

Das fühlt sich ein klein wenig merkwürdig an, vielleicht wie eine junge Biene auf meinem Arm, die mir ihre Schönheit zeigt und trotzdem die Macht besitzt, mir einen ungemütlichen Moment zu verschaffen.

Wie viele Argumente liegen als Ziegelsteine mit einem aufgemalten „Nein“ in meinem Weg? Ich habe kein Geld, ich bin zu alt, das ist viel zu gefährlich, ich kann hier nicht weg, dafür hätte ich etwas Anderes lernen müssen, ich schaffe das nie, das können nur andere, erst muss ich für Andere da sein oder ganz einfach, ich traue es mir selbst nicht zu. Wir können die Ziegelsteine in die Hand nehmen und damit ein Tor bauen. Was spricht dagegen, wie ein König oder eine Königin hindurch zu schreiten und unserem Traum entgegen zu gehen?

Angenommen, der Beginn liegt darin, meinen Wunsch auszukleiden. Erst wenn ich wirklich weiß, was ich mir in welcher Form oder Farbe wünsche, erst wenn wir auf der Blumenwiese liegen und das Bild unserer Vision am Himmel zu sehen ist, erst dann kann das Universum uns damit beschenken. Wie genau bin ich? Wie viele Informationen besitze ich und welche fehlen? Hängt ein Bild an meinem Kühlschrank, das mich immer wieder daran erinnert, was ich wirklich möchte? Beschäftige ich mich mit meinem Traum? Sehnsucht will genährt werden, sie will dich mit aller Kraft erfassen, sie will deine Aufmerksamkeit hier und jetzt und nicht irgendwann irgendwie nebulös.

Wenn dieses tiefe Empfinden in unserem Herzen brennt, dann wird es kommen. Dann wird der Tag beginnen, an dem erst ein kleiner Zufall uns aufmerksam werden lässt, dann wird ein weiterer kommen, denn er ist die logische Folge des ersten. Mit Überraschung stellen wir die kleinen Verrücktheiten des Universums fest. Dann gilt es, dieses Geschenk anzunehmen und sich auf das Folgende zu freuen, denn die Sehnsucht wird dich leiten.

Jeder hat etwas, was sich sein Innerstes gerade heute oder morgen wünscht. Wie spannend wäre ein Versuch, die Ziegel beiseite zu schieben und ein Bild aufzuhängen? Ich bin dabei.