Der Griff durch den Spiegel

Die Stunde begann. Schnell suchte jeder einen Platz, Gespräche verstummten und für einen kleinen Moment ließ sich noch dies Zurechtrücken auf der Matte vernehmen, bis jeder bequem im Seiza saß. Ruhe breitete sich aus. Nur mitgebrachte Gedanken schwangen im leisen Echo in den hinteren Winkeln des Sinns, bis ihr Widerhall immer schwächer wurde und letztendlich im Boden versank. Wohlempfinden zeigte sich.

Als wäre dieser Moment abgesprochen, erklang ein hoher Ton, ein Zeichen für das Nach-außen-Kehren der Aufmerksamkeit. Der Fokus veränderte sich und ein bewusstes Wahrnehmen der anderen nahm seinen Raum ein.

Der Ton klang noch lange nach, als schwebe er um uns herum, berührte hier oder da, zog Kreisel, tönte eigenwillig verdichtet und berührte dabei jeden Einzelnen, als sei er ein Band am Maibaum, das mit Bedacht geflochten, das sichtbar Schöne nach außen trug:

Ein Freuen auf die vielen kommenden Tage des Jahres, auf den Frühling und auf ein gemeinsames Lernen mit all seinen aufregenden Seiten des Lachens und Spielens.

Gemeinsam im Fluss sein!

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Budo besitzt unsagbar viele Verschichtungen im Tun. Im Offensichtlichen werden Techniken geschult und Genauigkeit wie Disziplin mit sich selbst vermittelt. Im nicht so Offensichtlichen geschehen andere Dinge, vorausgesetzt das Offensichtliche versperrt nicht die Sicht.

In einem ernsthaften Kampf, irgendwo da draußen, auf der Straße oder auf dem Schlachtfeld, liegt das Ziel darin, zu überleben. So sehr das Erreichen des Ziels für einen zwingend erscheint, so sehr ist es doch eine einsame Angelegenheit, denn wir müssen uns selbst verteidigen.

Auf der Matte ist es anders. Hier lernen wir gemeinsam. Der andere ist nicht dazu da, um einen Sieg zu erringen oder als der Bessere dazustehen; er ist auch nicht dazu da, um als Werkzeug zu einer Entwicklung zu verhelfen. Denn wenn ich den anderen nicht sehe, sondern nur dessen Spiegel nutze, um mich selbst zu betrachten, dann bin ich alleine und merke es nicht einmal. Ein wirkliches Miteinander beginnt mit Harmonie, mit einem gegenseitigen Verschenken, das dann schließlich beide Seiten während des Trainings bereichert und wachsen lässt.

Wenn unsere Aufmerksamkeit an einem Punkt zusammenläuft und dabei andere Personen einbindet, dann wird dies genau der Anlass sein, uns von einem bisher festmontierten Selbst zu lösen. Es entsteht ein Raum zur Veränderung, der es uns möglich macht, auf einer Fährte zu sein, die magisch anzieht und nicht loslässt.

Natürlich ist es überhaupt nicht einfach, von bisherigen Strukturen abzuweichen, Verfahren zu ändern oder einfach die Herangehensweise zu modellieren. Solche Veränderungen fühlen sich immer so an, als stünde man am frühen Morgen statt mit dem rechten Fuß zuerst mit dem linken auf. Der Körper ist ein winziges Stückchen irritiert und der Geist tut es ihm nach, bis er schließlich versteht, dass das Prinzip ganz simpel ist.

Denn der Klang der Zimbeln schwingt immer …