Versteckte Orte

Vergangenheit greift durch die Zeit, schimmert in alten Lehren, findet uns, hier auf der Matte, im Training, zwischen dem Wollen, Können und Fühlen:

Mein Handgelenk ist durch einen Griff blockiert, das Schwert lässt sich nicht mehr ziehen. Abrupt stoppt der entgegenkommende Impuls. Der Moment scheint gefroren und starr.

Gotai … Der Erste der Wege.

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Unzählige Wiederholungen über Wochen und Jahre prägen das Tun, finden den nächsten Schritt und dann ohne ein festes Bild, öffnen sich bisher verschlossen geglaubte Pforten:

Gleich einer Woge übernimmt die eigene Hand das Kommende, erfühlt den gleichzeitigen Beginn, spürt den kommenden Impuls. Bewegung verwaist die zufassende Hand. Nichts und niemand verharrt, alles fließt und der Wandel des Tuns führt weich bis zum Ende.

Jutai … Der Zweite der Wege.

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Dies Fließen erfreut, es sammelt Kraft für alle Herzen. Der Körper wird Geist und Geist wird Körper, Neues findet sich in tiefster Intuition:

Ohne den Punkt des Beginns, ohne ein Erschüttern oder Herausfordern, ohne ein Stocken geht das Ich aufrecht in Spiralen und Ellipsen durch die Angriffe. Leichtigkeit findet seinen Ausdruck.

Kinagare … Der Dritte der Wege.

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Mein bisheriges Betrachten entsprang einer Annahme, der ich nur zu willentlich gefolgt war, da es sich der Logik zu fügen schien. Irgendwie ging ich davon aus, dass ein Aikidoka je nach Trainingsintensität von einer Trainingsform zur nächsten wandelt, je nach investierter Mühe.

Mittlerweile sehe ich es etwas anders. Die drei Arten des Trainings (starr, weich, fließend) sind nicht nur die Folge eines Wachstums. Sie sind auch Orte, die lehren:

Gotai, das Starre hält mich. Ich lerne, wie ich mich aus einem starken Griff befreie. Wie kann ich mich noch rühren, wenn ich genau das nicht bewegen kann, was ich eigentlich bewegen möchte? Eine verborgene Beweglichkeit eröffnet sich. Mein eigener Körper beginnt, mir seine Geheimnisse zu verraten! Und genau hier wird plötzlich klar, wie wenig wir dies im Alltag berücksichtigen. Wir können viel, viel mehr, als uns überhaupt bewusst ist!

Sickert dieser Umstand langsam ins Bewusstsein, dann fällt der Fokus auf das eigene Körperzentrum, das ungefähr 3-4 cm unterhalb des Nabels und 3-4 cm in den Bauch hinein zu finden ist. Halte ich dies Zentrum immer hinter dem Tun (was echt geübt sein will!), dann zeigt sich ein weiteres Prinzip, dessen Berücksichtigung einen riesigen Unterschied ausmacht.

Jutai, das Weiche führt mich. Ich lerne, dass das Weiche stärker ist als das Starre. Meine Verteidigung liegt im Gleichklang mit dem Angriff. Der Zugriff wird vermieden, indem mich mein Schritt außerhalb des entgegenkommenden Impulses platziert. Hier nehme ich mir die Zeit für meine Technik. Verlängere ich den angreifenden Impuls, vermittele ich meinem Gegenüber sogar für einen kurzen Moment ein sicheres Gefühl. Doch der Angriff wird einfach versickern. Es gibt keinen Schmerz, egal auf welcher Seite.

Kinagare fließt. Ich lerne, meiner Intuition und meinen Reflexen zu vertrauen. Es gibt keine Überlegung, es gibt nur noch ein Durchschreiten. Angriffe perlen ab. Der physische Kontakt wird immer weniger. Ein Betrachter kann kaum erkennen, warum ein Angriff nicht erfolgreich war.

Tja, und das ist dann eindeutig eine Art von Magie.