Zwei von drei

Es ist schon kurios. Techniken besitzen Struktur und weil dem so ist, verweisen sie genau auf den Bereich, der gefühlt keine hat. Ungeahnte eigene Reaktionen auf einen Angriff oder überhaupt auf äußere Einflüsse überraschen manchmal, denn Training gibt den Stärken und Schwächen ein sichtbares Gesicht. Natürlich gefällt mir dies nicht immer, aber hey, dafür bin ich ja im Training!

Wie leicht erscheint der Körper als Rätsel: Wie war nochmal die Reihenfolge der Fußbewegungen, während meine Hände was genau machen sollen? Und wie bitte schön, soll ich dabei meinen Oberkörper gerade belassen, wenn mich die Fliehkraft erwischt? Die eigene Koordination will sich finden oder anders gesagt, offensichtlich selbstgesetzte Grenzen lassen sich plötzlich verschieben!

Warum sind wir seit dem Verlassen der Kinderschuhe so sehr davon überzeugt, alle Finessen unseres Körpers und Geistes bereits zu kennen? Mittlerweile weiß ich: Tun wir nicht! Ihr Zusammenspiel gleicht eher einem wertvollen antiken Sekretär, dessen unzählige geheime Mechanismen letztendlich nur dem Erbauer bekannt sind.

Irgendwann, wenn sich die eigene Koordination nicht mehr so sehr in den Vordergrund stellt, öffnet sich mehr Raum für die Überlegung, was das eigene Tun beim Gegenüber auslöst. Was macht ein Hebel hier oder dort? Wie verändert der andere dabei seine Position? Geht er in die Knie oder entzieht er sich gänzlich? Und irgendwann möchte das eigene Empfinden dies ganz automatisch harmonisch gestalten. Wer möchte schon im Weg stehen, wenn ein Fauststoß kommt?

Schnelligkeit ist dann gut, aber nicht wirklich die Lösung. Der rechte Zeitpunkt fürs Handeln will gefunden sein. Je mehr ich mein Tun zeitlich koordiniere, umso weniger wird mich ein Angriff tangieren; es gilt also, nicht im Weg rumzustehen! Hört sich völlig einfach an, ist es aber nicht.

Um hier weiter zu kommen, um dieses „nicht rumstehen“ vernünftig in den Griff zu bekommen, gibt es etwas, das im ersten Moment mit dem eigentlichen Problem anscheinend nicht so viel zu tun hat: die umfangreiche Welt des „Ukemi“. Es ist die Kunst, Techniken und die damit verbundene Energie des anderen anzunehmen, zu akzeptieren, um damit im steten Kontakt mit dem Geschehen harmonisch zu agieren.

Technisch gesehen sind es körperlich notwendige Aktionen wie vorwärts und rückwärts zu Boden gehen, aus höheren Ebenen kopfüber zu fallen oder abrupt bäuchlings am Boden aufzukommen; alles geschmeidig im Fluss mit den Bewegungen des Verteidigers und natürlich ohne Schmerzen und Mühe.

Wenn das alles gut klappt, dann ist mein Körper und Geist auch wach. Beides reagiert auf jede noch so kleine Veränderung im Raum und wird deshalb nicht mehr „rumstehen“, wenn ein Angriff kommt. Ein sehr bewusstes Miteinander entwickelt sich, als liefen Farben ineinander, die kreiselnd den Raum erfüllen.

Das Gefühl des Flows malt ein Bild …

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Wenn ich im Training bewusst an dem Kleinen wie Großen arbeite, dann lassen sich Möglichkeiten viel leichter ausschöpfen. Die daraus entstehenden Qualitäten fühlen sich für das eigene Empfinden einfach richtig an; es zeigt sich der Weg, auch wenn er mir manchmal noch diffus erscheint.

So lässt sich die Struktur in jeder Technik betrachten und aneignen, es findet sich Harmonie in mir selbst und im Zusammenhang mit meinem Gegenüber und dann, ja dann habe ich zwei von drei Dingen in mein Bewusstsein geholt, an denen ich selbst ganz bestimmt noch viele, viele Jahre zu arbeiten habe. Aber das macht nichts, denn es ist pure Freude.

Und das Dritte? Das Dritte ist das, was dem folgt: Manchmal sehe ich es in ganz unspektakulären Momenten bei den leidenschaftlich Übenden in aller Schönheit. Es ist dies Bemerken, dass ein Angriff den eigenen Weg nicht beeinträchtigt. Es ist das Vertrauen in das eigene Können, das zum richtigen Platz, zur richtigen Zeit und zur richtigen Handlung führt. Es sind die Hohlräume, die für den Angreifer entstehen, als seien es schwarze Löcher im Universum. Der Fokus des Gegners findet keinen Halt, denn das wundervolle freie Spielen mit Energien nimmt seinen Lauf,

der Weg des Aiki.

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