Ein ganz bestimmtes Irgendwo

Ehrlich gesagt, ich hab ihn erst jetzt entdeckt. Ich wusste gar nicht, dass er immer schon da war und mit offener Tür darauf wartet, dass ich endlich mal komme. Muss ja sagen, es wurde viel Geduld bewiesen, was mich wirklich, wirklich dankbar macht. Es gibt keine zeitliche Begrenzung, außer natürlich die endgültige, aber dann ist es nicht mehr so wichtig. Nein, da steht etwas bereit, dessen Aussehen nur ich ganz allein kenne, also in dieser Form, für andere ist es anders.

Ich laufe los, denn ich möchte unbedingt schnell ankommen. Unglaublich, wie schnell es dem Körper gelingt, Hindernisse zu überspringen! Ganz spielerisch hüpfe ich über Hecken und Zäune und wenn sich gerade keine auftun, hüpfe ich einfach so, weil es so viel Freude macht, diese Leichtigkeit in jeder Faser nachzuempfinden. Der Weg ist nicht weit, denn ich wähle selbst die Entfernung.

Dann sehe ich ihn schon von Weitem, diesen Ort:

Magische Wellen umrunden und schützen ihn. Sie zeigen sich in bunten Regenbogenfarben, die etwas glitzernd wabern und wenn ich meine Hand ausstrecke, fließen sie durch die Finger, um mich mit einem leisen Summen zu begrüßen, ein unhörbares „Guten-Abend-meine-Liebe“. Manchmal verweile ich hier, hier im Strom des Wundersamen, denn wenn ich tief durchatme, legen sich winzige nährende Kristalle auf meine Zunge; sie schmecken wie Sommerblumen riechen.

Direkt dort steht auch eine Holzbank an der Hauswand. Ich habe sie in einem verspielten Moment bemalt. Seitdem blicken mir große Margeriten mit sich freuenden Gesichtern entgegen. Bereits beim ersten Auftragen der Farben bewegten sie sich und wuchsen aus sich selbst heraus, halfen mir, ihre Form zu erkennen. Jetzt wohnen sie dort mit mir und wenn ich mich zu ihnen setze, betrachten sie ebenso den wundervollen Sonnenuntergang in der Ferne. Manchmal sind sie ganz leise und still, aber manchmal können sie gar nicht mehr aufhören mit dem Schnattern, doch irgendwann kommen sie zur Ruhe und genießen, was wir gemeinsam bewundern.

Dann winke ich der Sonne zu und streiche den Margeriten über ihre Blütenblätter, die sich durch Berührung gleich den Mimosen langsam schließen. Es freut mich jedes Mal, wenn sie schon total müde noch kurz lächeln. Ich lächle zurück, drehe mich um und gehe mit zwei Schritten durch die bereits offene Tür, eine unausgesprochene Einladung, die mich in den Raum der tausend Geschichten führt.

Alt-ehrwürdige Zedernholz-Balken schmücken die Wände mit einem immer sich verändernden Muster. Manchmal kommt mir der Verlauf der Linien wie eine Aufgabe oder Frage vor, die gedanklich förmlich im Raum schwebt. Das Muster verändert sich so lange, bis es mir einfach vollkommen für den heutigen Tag erscheint. Wie durch Zauberei bemerke ich immer erst dann die vielen Glaskugeln, die in kleinen Rundungen sicher auf dem Holz liegen.

Mein Blick betrachtet sie, bis er einen winzigen Moment verweilt. Und ohne mein Zutun klappt die Kugel auseinander und ergießt sich in den Raum. Die Wände verschwinden und alles um mich herum findet seine richtige Form: Manchmal ist es eine Sommerwiese mit kuscheliger Decke oder ein heißer Strand mit Matte oder eine Luftmatratze auf blau-grünen, gluckernden Wellen, die mir den hellen Sand am Boden des Meeres zeigen.

Das Gefühl der tiefen Ruhe folgt meinen Gedanken, die überhaupt nicht mehr denken mögen. Denn sie sind nur noch hier, genau da, wo ich gerade bin, ganz genau zwischen den unvorstellbaren Dimensionen einer Welt, die mich trägt, wenn ich will …

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Das Bündeln der Gedanken beim Einschlafen fängt die Ruhe der Nacht. Der Körper findet Stille und der Fokus einen Traum. Der Schlaf kommt von ganz allein, dort, an dem Ort, der in uns wohnt.

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Er wartet auf uns!