Das Wirbelige auf der Matte erscheint an den heißen Sommertagen besonders eigenwillig. Es ist weniger im Außen. Die Aufmerksamkeit verrutscht ins Innere, als befände sich das Ich barfuß am Strand, nur um sich die Wellen über die Zehen schwappen zu lassen … Dinge fallen dadurch auf und sehen plötzlich anders aus:
Konzentriert probierte ich an einem besonders effektiven Hebel herum: Der Arm des Angreifers ist erhoben angewinkelt, sodass der Oberarm parallel und der Unterarm senkrecht zum Boden zeigt. Die dadurch herunterhängende Hand wird zwischen Handteller und Handgelenk erfasst und mit einer Drehung zum Kopf versehen, während die Finger schräg nach unten einen anderen Verlauf nehmen. Zwei verschiedene Richtungen blockieren damit die Bewegung und die Schulter.
Dem Angreifer bleibt nichts anderes, als auf die Zehenspitzen zu gehen und jedem erzwungenen Zentimeter ganz genau zu folgen. Für mich als Verteidigerin habe ich das Gefühl, als hielte ich ein scharfes Messer, das bei einer nicht korrekten Handhabung verletzten könnte. Genau dies Empfinden ließ mich zögern.
Geduldig wartete mein Gegenüber auf ein weiteres Vorgehen. Als wären meine Zweifel, ob der Aushaltbarkeit meines Griffes laut gestellt worden, kam ein
„Nur zu! Da braucht es noch ein wenig mehr, bis ich mich bewege.“
Das lässt sich leicht sagen! Bereits an diesem Punkt besaß ich überhaupt kein Gefühl mehr, was noch in Ordnung war und was nicht. Auf alle Fälle verließ ich gerade meine persönliche Wohlfühlzone. Denn eigentlich hätte ich am liebsten immer noch etwas Platz zwischen beginnender Erkenntlichkeit der Technik und einem Zwingend als Endpunkt des Möglichen.
Ich betrachtete den Arm meines Trainingspartners und schimpfte mit mir selbst. Wie bitte soll ich denn wissen, wo gerade bei diesem Menschen die Schmerzgrenze begann, wenn ich mich davon fernhielt? Aikido ist eine Kunst, aber auch Kampf! Und wer sicher kämpfen möchte, sollte die Pole des Möglichen wie seine Westentasche kennen, sonst ist es ein Bewegen auf einem blinden Fleck, der nicht kontrollierbar ist …
Bis hierhin kam ich und dann fing ich an, den Wurm zu suchen.

Aikido ist eine friedvolle Kampfkunst und richtet sich gegen die Angriffs-Handlung und nicht gegen die Person! Und Schmerzen sind eindeutig persönlich! Ich brauche den Kontakt zu meinem Gegenüber, der mir alles über ein Jetzt und vor allem über ein Gleich verrät. Deshalb ist ein fehlender Kontakt nicht gut.
Die Techniken sind ein Rahmen, der gefüllt sein will. Vielleicht vergleichbar mit dem Holzrahmen eines Ölbildes, der das Bild der Kunst trägt. So ist es nicht die reine Technik, die den Angriff neutralisiert. Ich bin es selbst, indem ich den Impuls meines Gegenübers nutze: Werde ich gezogen, trete ich ein, werde ich geschubst, drehe ich mich und finde sofort zurück, ein Nicht-Widerstand ist wesentlich effektiver als eine Konfrontation.
So trägt Geduld die Lösung, Ruhe zerstreut Wut und Vertrauen nimmt Zweifel, ein Ki-Ai schockt und lässt innehalten und ein angedeuteter Faustschlag fordert eine Reaktion oder lässt den Angreifer wanken. Aber! Es ist weder ein Tanz noch ungefährlich. Die Kombination aus Absicht und Bewegung führt zu einer Lösung und endet in einer Technik, die zur Situation passt.
Deshalb brauche ich nicht bis zur Schmerzgrenze gehen, das ist eine Sackgasse, die alles stoppt …
Ich habe den Wurm gefunden.
Aikido ist eine sehr schöne und nicht nur den Geist sondern auch achtungsvolles miteinander lehrende Sportart, die auch meine Enkelin eine Zeit lang erlernte. Die Mitgliedschaft beim Verein dann leider wegen Umzug wieder beendete.
Liebe Grüße und hab noch ein schönes Wochenende 🍀
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Das sehe ich auch so! Es gibt so unendlich viel zu lernen, nicht nur innerhalb von Techniken, sondern im Miteinander und im eigenen Ausdruck. Wenn es Deiner Enkelin gefiel, dann wird sie bestimmt wieder ein neues Dojo finden! Ganz bestimmt!
Dir auch ein wunderschönes Wochenende! Lieben Gruß, Christine
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In der Politik nennt man das Diplomatie: sich in einem Rahmen bewegen und wissen, wo die Schmerzgrenze ist.
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Genau, auch dort muss der Rahmen gefüllt werden mit der Kraft und Geschick des Diplomaten, der in einem Miteinander eine friedliche Lösung für alle findet. Lieben Gruß, Christine
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