Sakura im Winter

Spannung breitete sich aus. Die Ruhe stand hörbar im Raum. Ich hätte schwören können, dass der Puls bei jedem ein klein wenig anstieg, selbst bei uns Zuschauern, die am Rande saßen. In Prüfungsmomenten erschien es mir, als kippe sich ein Gefühlspotpourri über alle Anwesenden und je nach Außenhaut blieb davon etwas kleben oder nicht.

Lehrer und Angreifer wurden gegrüßt. Die Aufmerksamkeit richtete sich aus und die ersten japanischen Worte fielen durch das Bewusstsein des Prüflings. Einen kleinen Moment stand alles still, als wäre das Gesagte nicht hörbar gewesen, doch dann fand sich der Rhythmus und Wissen brachte sich zum Ausdruck.

Es war einfach schön anzusehen, als leuchte bunte Konzentration wie ein Lichtkegel über die Matte; stetig in Bewegung, mal hier, mal da, als suche sie das ihr innewohnende Ziel; ein Erkunden der besonderen Art.

Die Zeit beeilte sich und ließ den Fokus enden. Dank wurde ausgesprochen und ein Lächeln stahl sich auf jedes Gesicht:

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen …

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Wenn wir stetig Neues lernen, nicht aufhören den Zielen entgegen zu streben, dann fügen wir mit jeder Minute unserem Selbst ein kleines Stückchen hinzu. Wir folgen der Wandlung, dem Prinzip der Natur, atmen gemeinsam mit dem Universum in ein Werden, das unser Herz berührt.

Lebendigsein …

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Weil es so schön ist, hier noch das vollständige Gedicht, dem ich die erste wundervolle Zeile entlieh:

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

Die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

Aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,

Und ich kreise jahrtausendelang:

Und ich weiß noch nicht, bin ich ein Falke, ein Sturm

Oder ein großer Gesang.

Rainer Maria Rilke (1874-1929)

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Anm. z. Titel: Sakura = Kirschblüten; sie sind für mich ein Anbeginn des Neuen …