Es war eine Übung, eine Spielerei, ein Messen von Wahrnehmung und Umsetzung, aber auch ein offensives Aufdecken der eigenen Möglichkeiten:
Zwei stehen sich gegenüber und halten über die Handrücken Kontakt; eine Seite bewegt die Hände hin und her, um eine Lücke zu finden, die schließlich der eigenen Hand erlaubt, Kopf oder Schulter der anderen Seite zu berühren. Der springende Punkt lag nicht darin, eine Lücke zu sehen, sondern eine Lücke zu spüren.
Das Prinzip war völlig einfach und doch zeigte es sich als ein riesiges Paket des Miteinanders. Im ersten Moment sah es so aus, als müsse ich lediglich an den Händen meines Gegenübers dran bleiben, als sei ich ein nicht loszuwerdendes Kaugummi.
Beim Betrachten des eigenen Handelns erschien es mir, als fuchtele ich mit meinen Händen herum; nicht besonders elegant, aber trotzdem ließ sich nicht abstreiten, dass beide Seiten mit wenigen Ausnahmen ziemlich erfolgreich das Hindurchgreifen des Trainingspartners vermeiden konnten.
Überraschend klappte es sogar, wenn beide Seiten die Augen geschlossen hielten. Völlig konzentriert mit einem gefühlt allumfassenden Fokus ließ sich der Angriff förmlich erahnen, auch wenn ich behaupten würde, dass überhaupt keine Zeit zwischen den Bewegungen bestand, um diese Tatsache irgendwie zu verarbeiten. Beide Seiten konnten intuitiv Angriffe aufnehmen, abwehren oder einen eigenen Durchgriff starten. Spielerisch schien sich alles zu aktivieren, was möglich war.
Als wir außer Atem und lachend die Übung beendeten, fragte ich mich wirklich, was es nun war, was sich in diesem „alles“ verbarg.
Wie gut kennen wir das, was uns möglich ist?

Aikido hat mit Menschen zu tun. Mit dem sich Einlassen auf andere, mit dem Verstehen wollen, inwieweit andere ihre Wirkung auf uns besitzen und in welchem Ausmaß ein Außen durch uns selbst veränderbar ist.
Aus martialischer Sicht gesehen, ist es eine Art von Aufmerksamkeit, die die gegenüberstehende Person in den Kreis der eigenen Wahrnehmung hineinzieht. Das Ergebnis ist nicht immer gleich, denn unterschiedliche Punkte auf der Zeitschiene besitzen auch unterschiedliche Möglichkeiten:
Ich könnte simultan mit dem Angriff handeln oder schon in Bewegung geraten, wenn der Andere seinen Angriff vorbereitet oder sogar bereits handeln, wenn dieser erst über einen Angriff nachdenkt. Je mehr Feinfühligkeit in den Moment gelegt wird, umso größer ist die Handhabe … Sensibilität.
Dies Feinfühlige macht etwas mit uns, es bewegt und führt uns in die Nähe der eigenen Grenzen. Je näher wir ihnen kommen, umso eher sehen wir uns selbst. Wir können punktgenau handeln, schließlich wissen wir, wo sich Anfang und Ende befinden, nun ja, vielleicht nicht immer sofort, aber immer öfter … Kontrolle.
Aber um all dies tun zu können, braucht es letztendlich der steten Übung. Nur sie macht es möglich, dass wir uns völlig frei bewegen können und die unzähligen Techniken und ihre Varianten irgendwann als einen möglichen Ausdruck des Handelns in uns manifestieren. Der Geist ist dann frei und braucht sich nicht um tausend Feinheiten kümmern, schließlich kennt der Körper sie bereits … Beständigkeit.
So verwandeln sich Grenzen, bröseln, zerfallen und werden zu Sand, der uns letztendlich trägt;
Es ist ein beleuchteter Pfad …
Interessant „beleuchteter“ und nicht „erleuchteter“ Pfad.
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Ich freue mich, dass du das sagst, so kann ich dazu noch etwas sagen: Wenn wir etwas genauer bei uns selbst hinschauen, aufmerksam sind, wenn wir reagieren oder irgendetwas tun, dann lernen wir unsere Grenzen kennen und je besser wir sie kennen, um so eher verstehen wir die Reaktion der Anderen darauf. Ein Außen wird uns klarer und verstehbarer, wir können viel mehr „sehen“, an welcher Art von Linie wir uns selbst ausrichten. Grenzen werden dadurch zu überbrückbare Linien, die wiederum frei bewegbar sind. Wenn wir also uns selbst besser kennenlernen, erhellen wir unseren eigenen Weg nach draußen, wir sind unser eigenes Licht. Vielen Dank für Deine Worte!! Lieben Gruß, Christine
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Gefällt mir sehr, danke !
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Heißt das nicht ganz banal (oder doch allumfassend) „der Weg ist das Ziel“? Der Weg, wo ein Miteinander-Schwingen die Mauern/Grenzen überflüssig macht? Und den man immer mehr erkennt und immer weiter erklettern kann?
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Mit Sicherheit ist es ein Teil davon! Für mich lag der Schwerpunkt in dem Gedanken, dass es auf der Matte die Möglichkeit gibt, die eigenen Grenzen kennenzulernen, diese im Training zu erfahren und zu begreifen und je genauer mir diese klar werden, umso eher verstehe ich, was ich selbst im Außen damit bewirke (denn diese Grenzen sind ja ein Teil von mir).
Grenzen entstehen, weil wir das innewohnende Konstrukt nicht wirklich verstehen und nachvollziehen können, je mehr wir es durchdringen, umso mehr löst es sich auf; wir „erhellen“ das, was uns zuvor aufhielt und können dann darüber hinweggehen. Und dieser Weg ist mit Sicherheit ein Ziel.
Vielen Dank, Werner! Lieben Gruß, Christine
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