Der Ton des ersten Schlages kam immer überraschend. Der überlaute Knall der aufeinanderschlagenden Bokken schien sich nicht nur im Raum zu vervielfältigen, sondern schlichtweg in voller Bandbreite durch die Haut zu gehen. Ich schaute kurz über die Schwerter hinweg und musste lachen, meinem Gegenüber erging es genauso. Wir hielten automatisch inne, als rückten wir uns wieder in den Fokus der Aufgabe: Wir begannen mit den allerersten Wiederholungen, nannten Namen, wechselten Ausführungen und freuten uns über Gelungenes oder kritisierten – still oder auch nicht – das eigene Tun.
Eines folgte so dem anderen, als wandele der Sinn von einer Perle zur nächsten. An manchen Tagen klappte es gut und an manchen Tagen eher nicht. Manchmal gingen wir über Kleinigkeiten hinweg und manchmal schmissen sie sich förmlich in den Weg. Das bisher Gelernte schien sich ständig ein wenig zu wandeln, als bilde sich in den Fugen zwischen all dem gefestigten Wissen etwas Diffuses, das sich trotz aller Aufmerksamkeit als unklar in das Blickfeld schob.
Ich suchte nicht die perfekte Form, die gab es in meinen Augen so oder so nicht. Ich suchte in erster Linie das sichere Gefühl, tief in meinem Zentrum zu stehen und nicht von meinem Lot abzukommen, egal welche Bewegung ich gerade mit meinem Schwert umsetzte. Sicherheit, Gelassenheit und Ruhe … da wollte ich hin!
Außer Atem legten wir unsere Schwerter zur Seite und tranken etwas Wasser. Die Aufgabe für diesen Morgen zeigte sich wieder einmal von ganz allein,
immer.

Wiederholungen sind machtvoll! Sie spülen Ungenaues an die Oberfläche, das sich innerhalb der auseinandergepflückten Teilstücke nur zu leicht verstecken konnte. Jede einzelne Kata in den Kashima-shinryū-Serien ist ein Grundstein für etwas Folgendes. Erst wird etwas eingeübt, dann wird verbunden und Stück für Stück wächst ein Fundament.
Für mich gab es Bewegungen, die der Körper noch unzählige Male wiederholen musste, bevor sich überhaupt ansatzweise ein sicheres Gefühl andeutete. Manchmal zeigten sich Abfolgen, die für den Körper völlig ungewohnt daher kamen. Und manchmal war es nicht der Körper, der sich sperrte, sondern der Geist, der gefangen in alten Mustern ein freies Handeln nicht zuließ, weil er viel lieber Konditioniertes aus vergangenen Zeiten heranholte. Es waren dann Lücken der anderen Art.
Ich könnte darüber hinweg gehen, doch dann würde ich nicht lernen. Es wäre nur der leichte Weg, der die Stolpersteine umrundete, nur um niemals Höhen und Tiefen durchwandern zu müssen. Das kann man so lassen, aber irgendwann kippt das System, dann liegen so viele Steine herum, die schließlich kein Weitergehen erlauben; der Weg wird zur Sackgasse.
Körper und Geist sind miteinander verbunden: Fehlt die Stabilität auf der einen Seite, fehlt sie auch auf der anderen. Deshalb möchte ich kein Bisschen, kein es-sieht-so-aus, kein nur außen oder halb-halb, ich möchte ein Ganzes aus mir selbst heraus, ein gutes Fundament! Natürlich gibt es Tage, an denen etwas nicht gelingt oder einen die Welt aus den Fugen haut, keine Frage, aber das ist dann etwas anderes.
Wenn wir das Diffuse bewusst in die Hand nehmen, fügen wir uns selbst zusammen. Wir räumen auf. Am Ende des Tages besitzt das Tun unsere Signatur, unseren Abdruck, als liefen wir barfuß auf nassem Sand der Sonne entgegen.
Anm. z. Titel: Zwischen Boden und Bauwerk liegt das Fundament …