Verborgen im Tun

Das war jetzt überhaupt nicht einfach und doch wieder schon. Es fühlte sich an, als hielte ich etwas am äußersten Zipfel, damit es mir nicht davon rennen konnte. Ich musste aufpassen, dass es das nicht tat, bevor ich ihm irgendwie näher kam.

Ein Fauststoß zum Kopf ist schon ganz allein für sich ziemlich krass und ich kann jeden gut verstehen, der gute zwanzig Zentimeter vor dem Gesicht den Anker schmeißt. Wie überall im Leben gibt es zwei Möglichkeiten: entweder lege ich jegliche Kraft hinein oder aber halte mich nur an eine Hülle der Umsetzung, die jeglicher Energie entsagt. So dachte ich jedenfalls …

Mein Lehrer klopfte mir auf die Schultern, um mir zu verdeutlichen, dass ich viel zu viel Spannung in den Schlag lege.

„Wie willst du da wieder raus kommen? Was ist dir nach dem Schlag noch möglich?“

„Ähm …“

Jetzt könnte ich natürlich sagen, dass da eigentlich gar nichts mehr möglich sein soll, schließlich will ein Angreifer angreifen und nicht lange diskutieren. Doch ich spürte was er meinte. Mit der Anspannung konnte ich gleich einem Lkw in der Sackgasse nicht mehr wenden, um erneut einen Angriff auszuführen.

Doch, wie sollte ich denn einen guten Angriff geben, ohne von der eigenen Wucht in eine Richtung gezogen zu werden? Wäre ein Mittelding eines Angriffes nicht eher halbherziges Tun?

Später während der Vorführungen kam er nochmals auf die Problematik zurück, verharrte einen Moment und stellte die Frage an uns alle:

„Was ist der wichtigste Moment beim Angreifen? Der Beginn des Angriffs? Der Faustschlag selbst? Das aufeinander zugehen?“

Ein Lächeln später kam die Antwort von ihm:

„Jeder einzelne Moment ist wichtig, denn es ist das Fließen im Miteinander.“

Vermutlich ist es beim Lernen immer so: Ständig wird die eigene Sichtweise ein Stückchen verrückt und plötzlich ist alles komplett anders. Nicht, dass alles nicht schon tausend Male gesagt wurde oder gezeigt wurde. Irgendwann bewegt sich einfach der innere Standpunkt, als hätte sich eine verrostete Schraube gelöst, um sich ein Stückchen weiter zu drehen.

Wenn ich angreife, dann steige ich in einem Strom, der von zwei Seiten gespeist wird und dadurch seine Richtung findet. Es kommt nicht einmal auf die Art und Weise an, wie ich angreife, wichtig ist lediglich, dass ich auf mein Gegenüber zugehe und dass dessen Aufmerksamkeit allein diesen Umstand aufnimmt. Egal welche Art von Anspannung mit hinein gebracht wird, sie unterbricht das Miteinander und verhindert, das Gemeinsame zu nutzen. Ich muss nicht wissen, wie hart oder stark der Angriff ist, denn ich gehe ihm aus dem Weg.

Stefan Stenudd schrieb dazu:

„Wenn ein Angriff eingeleitet wird, kann man das so beschreiben, dass der Äther der Intention, den wir Ki nennen, eine Richtung bekommt, die die Bahn darstellt, welche der Angriff dann nimmt. Dieser Fluss der Intention ist die eigentliche Substanz des Angriffs, während die Technik und die Körperbewegung, welche folgen, sekundär sind – sowohl in der Zeit als auch in der Bedeutung. Wenn der Intention getrotzt, wenn sie gebrochen wird, wenn dieser Fluss aufgehalten wird, kann der Konflikt nicht anders als weiter bestehen, auch wenn der Angreifer im Grunde besiegt wird.“[1]

Ich weiß nicht, wie es aussieht und wo es endet. Ich weiß nicht wie ich es benennen soll oder wie ich es erfassen könnte, ohne dass es mir aus den Händen gleitet. Aber ich weiß, dass wir mit den Techniken etwas besitzen, das uns den Zugang verschafft. Jede Technik hat eine besondere Art, als wäre es eine besondere Sprache.

Vielleicht liegt auch hierin der Grund, dass wir manche Techniken lieber mögen als andere. Sie bringen uns das Eigentliche näher, sie spricht unsere Sprache und wirkt auf eigenwillige Art vertraut. Deshalb ist jede für sich einzigartig und kann niemals als Basis oder simpel verdammt werden. Ist das Einfache im normalen Leben nicht oftmals das, was wir am wenigsten verstehen?

Für mich ist das ein ziemlich guter Grund, jede einzelne Technik genauer zu betrachten, denn eine -oder sogar mehrere- besitzt oder besitzen genau das Passende für mich, als seien sie ganz allein für mich gemacht. Sie öffnen die Tür durch die ich gehen kann.

Also Ärmel hoch! Ich geh dann schon mal auf die Matte …


[1] Stefan Stenudd, Aikido, Die friedliche Kampfkunst, Malmö, S. 109 in der Erklärung über „Aiki“