Der Klang der inneren Sonne

Da saßen wir nun, der Verkäufer und ich, auf dem grauen Teppichboden in einem fensterlosen Kellerraum eines Industriegebäudes, der nur über einen alten Lastenaufzug erreichbar war.

Vor mir standen einige Metallschalen: große, kleine, dicke Wand, dünne Wand, viel Gravur, wenig Gravur, dunkel, hell oder sogar schon sechzig oder siebzig Jahre alt. Immer wieder berührte ich mit dem Schlegel die Schalen, horchte hinein, sortierte aus, stellte um, nahm sie in die Hand, betrachtete die wunderschönen Muster oder strich mit dem Finger einfach über den Rand.

Unermüdlich holte der junge Mann neue Schalen aus dem Regal oder räumte die von mir aussortierten wieder zurück. Ganz nebenbei erzählte er mir alles Mögliche: von den Zulieferern, von der Herstellung, von der Corona-Zeit, von seiner Kindheit, von seinen Reisen, von seinen Kunden, von seiner Ausbildung, von seiner Familie, von seinem Internetshop und von seinen Vorstellungen, die ihm hoffentlich weit in seine Zukunft tragen würden.

Obwohl seine Worte überhaupt nicht enden wollten, gefiel mir sein Erzählen. Es erschien mir echt, authentisch und mit Überzeugung gefüllt. Seinem Können nach entsprach er den Geschichtenerzählern aus alter Zeit, auch wenn sein Äußeres dem nicht entsprach: Ihm fehlten die Jahre, der Bart, tausend Lachfältchen und ein Bauch. Nun, alles geht oft nicht…

Er vermittelte aber auf seine Art Rechtschaffenheit, Stolz, Loyalität, Familiensinn, Wertschätzung, Disziplin, Durchhaltevermögen, Sparsamkeit, Zufriedenheit und seine absolute Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Es kam mir vor, als würde ich in Süßes getunkt, das mir eine Lasur mit Wohlempfinden verpasste.

Zufrieden und gut gelaunt ging ich bepackt mit einem breiten Grinsen im Gesicht, meiner Schale, zwei Schlegeln und einem Unterlegkissen wieder zu meinem Auto zurück. Das war Kino auf besondere Art!

Die vom Verkäufer geschaffenen Wort-Bilder klangen noch nach, als wäre eine übergroße Schale in Schwingung geraten:

Ich sah ihn auf seinem Snowboard die unzähligen schwarzen Pisten herabfahren, ich sah ihn inmitten seiner Geschwister in einem kleinen Zimmer groß werden, ich sah seinen Onkel auf weiße Sportsocken ein Markenzeichen malen, damit er nicht weniger hatte als seine Freunde, ich sah ihn sein Abitur und Studium erfolgreich abschließen, ich sah ihn viel arbeiten, um sich Reisen leisten zu können, ich sah ihn mit zwei frisch eingegipsten Armen nach einem Unfall seine gute Freundin ins Ausland begleiten, weil er ja schließlich versprochen hatte, ihr ein fernes Land zu zeigen, ich sah ihn dort dem Doc eine Flasche Whiskey auf den Tisch stellen, damit er nochmals die Brüche checkt, ich sah ihn mit den vielen Kunden sprechen, die ihm täglich begeistert Feedbacks zukommen lassen und ich sah ihn ein Nahtod-Erlebnis verarbeiten, das durch einen defekten Rasenmäher ausgelöst ihm etwas schenkte, was er so oder so bereits besaß:

Das Gefühl, ein Teil eines umfassend großen aufregenden Abenteuers zu sein.

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Vielleicht hatte ich es mit einem Trojanischen Pferd zu tun, vielleicht waren all die Geschichten nur Mittel zum Zweck und vielleicht war ich so sehr mit meinem eigenen Wollen beschäftigt, dass ich überhaupt keine rechte Einschätzung der Situation abgeben konnte; wer weiß das schon …

Trotzdem genoss ich die Zeit des Auswählens, des Zuhörens und vor allem des Betrachtens einer offenkundigen Begeisterung meines Gegenübers. Es fühlte sich an, als fügten sich durch Worte die Töne kleiner Klangschalen zu einem Lied mit unsagbar vielen Farbtönen der Passion und Freude.

So entstehen Sinfonien.