Krass! Der Bokken flog mir fast aus der Hand und meine Armgelenke mussten erst einmal wieder in die gewohnte Position finden. Ein gewisses Maß an heftigen Schwert-Schwüngen kannte ich mittlerweile von meiner Trainingspartnerin; wir waren eindeutig nicht zimperlich miteinander. Doch dieser Schlag besaß nochmals eine unglaubliche Steigerung.
„Was hast du anders gemacht?“
„Hat man das gemerkt?“
Ich konnte nur begeistert nicken.
Wir arbeiteten an einer kurzen Bewegungsabfolge, die als Teil einer sich aufbauenden Serie zu üben galt. Immer wieder wiederholten wir das bereits Gelernte, das sich gleich einem Chamäleon ständig zu verändern schien und dabei in all seiner Buntheit neue Schattierungen hervorzauberte.
Aber das machte nichts, mithilfe der zu lernenden Formen und vorgegebenen Reihenfolge kam ich mir vor, als berührte ich einen Handlauf, um einer geführten Expedition zu folgen. Da konnten ruhig Tiefen kommen, da konnten ruhig Eindrücke entstehen, die den Atem raubten und da konnte ein Moment innegehalten werden, um einmal zurückzublicken. Alles ließ sich ganz in Ruhe betrachten und ausprobieren.
Doch um das geschehen lassen zu können, mussten wir bereit sein, etwas zu geben: Es brauchte ein wenig Mut, denn nichts blieb verborgen. Jede noch so ungünstige Bewegung besaß ihre Auswirkung und jeder zu viel gedachte Gedanke führte das Schwert ins Nirgendwo. Jede Kleinigkeit des eigenen Tuns trat in Erscheinung, sei sie körperlich oder gedanklich. Alles wurde zur Betrachtung ersichtlich nach außen gedreht:
Das fehlende Ruhen im Zentrum ließ mich kippen, angespannte Schultern engten mich ein und ein unkonzentrierter Geist verlor nicht nur die Feinheiten des eigentlichen Ablaufs, sondern behinderte jegliches Darüber-Hinaus.
Die Fragen lagen nicht allein in der körperlichen Umsetzung, sondern vor allem in der Handhabung des Geistes:
Wie fühlte es sich für den anderen an, wenn meine Wachsamkeit lediglich dem gegnerischen Schwert zugewandt war und ich den Schlag nur mit dem Körper konterte? Wie fühlte es sich an, wenn mein Fokus das Ziel über den Kontakt der Schwerter im Zentrum meines Gegenübers suchte? Wie fühlte es sich an, wenn es mir möglich war, Körper und Geist in einem Guss das Handeln prägen zu lassen?
Jede noch so winzig verschobene Ausrichtung der eigenen Konzentration veränderte das Ergebnis.
So stehen wir da und halten begeistert inne. Da tut sich was!

Körper und Geist besitzen jeder für sich Konditionierungen, Muster und störrische Charakterzüge, die anscheinend für alles Mögliche zu haben waren, nur nicht für eine vernünftige Zusammenarbeit. Ich könnte das einfach akzeptieren, man ist halt so … ist man so?
Vielleicht ist es genau das, was Leidenschaften in uns bewirken: Sie fordern uns heraus, sodass wir vor die innere Tür treten, um einen Blick von außen auf uns selbst werfen zu dürfen. Es gibt dann nichts Halbes oder Oberflächliches, da gibt es nur ganz oder gar nicht. Entweder ließ sich das eigene Wollen darauf ein oder die unzähligen Geheimnisse blieben genau das, was sie auch vorher waren, einfach ganz geheim.
Manchen gelingt dieser Schritt aus sich heraus nur mit der Unterstützung von Drogen. Aber ich denke, man kann es auch durch das Versinken in sich selbst herbeiführen, in dem Bestreben, eins zu werden mit seinen Gedanken und Aktionen.
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Manche versuchen es ja mit Unterstützung von Drogen, um aus sich heraus zu treten.
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Die Aufmerksamkeit, Konzentration oder Fokus, egal, wie man es nennt, ist ein Werkzeug, das mit dem Körper zusammen eine ganze Menge bewegt. Im normalen Leben merken wir, wenn uns jemand seine Aufmerksamkeit schenkt, uns betrachtet oder wir sehen die Intensität, wenn jemand absolut konzentriert etwas tut. Unsere Hand kann etwas erfassen und unsere Aufmerksamkeit auch, zusammen sind sie ein unschlagbares Team. Die Arbeit mit dem Schwert lehrt in meinen Augen genau diese Zusammenarbeit; derjenige, der in seinem Tun beides verbinden kann, wird sein Ziel finden. Ich selbst bin noch weit davon entfernt, aber ich sehe die Auswirkungen bei Fortgeschrittenen und Lehrern. Es ist nichts Dubioses oder Verschwommenes, sondern ein exaktes Arbeiten mit all den Möglichkeiten, die wir als Mensch besitzen. Danke Dir, Werner! Lieben Gruß, Christine
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