Das war nun wirklich aufregend! Ich konnte mich kaum beruhigen. Mit dem Schwert in der Hand ging ich durch das Dojo, bis das Federn unter meinen Füßen das Hibbelige nahm und ausklingen ließ.
Eben noch standen wir uns abwartend gegenüber, dann kam der Impuls der Angreiferin. Mit nur wenigen Schritten überwanden wir die Distanz und kreuzten die Schwerter; zufrieden nickten wir uns zu. Kein Klackern störte den Aufprall. Satt fanden die Bokken ihren Weg, als zögen sie sich gegenseitig an. Für eine Minisekunde entstand ein Innehalten, das die Schwerter band.
Solch eine Patt-Situation erforderte einen zweiten Angriff, der mit einem winzigen Zurückschwingen die Kata wieder aufnahm. Unzählige Male übten wir genau diese kurze Sequenz, unzählige Male trieb mich die Wucht des eigenen Schwunges zu weit von der geraden Linie weg und unzählige Male klackerte mein Schwert im Schnittpunkt, als würde es sagen: Mädel, zu feste Schultern, zu viel Arbeit mit der rechten Hand oder falscher Fokus während der Ausführung … aber es wurde seltener, immerhin.
Irgendwie hätte ich in dem Moment überhaupt nicht gedacht, dass noch etwas fehlte.
In der Trinkpause sprachen wir über Angriffe, über die damaligen Schlachten und deren unvorstellbaren Anforderungen. Da gab es kein Wenn oder Aber, kein Zögern, kein Überlegen, da gab es nur den Willen zum Überleben, um am nächsten Morgen die Sonne wieder sehen zu können.
Welch ein Kontrast zu heute! Wieder auf der Matte, begannen wir von vorn.
Wir schauten uns an und preschten los …

Harmonie und Konflikt sind zwei zutiefst menschliche Aspekte. Wie sehr wünschen wir uns zu allen Zeiten die Harmonie, weil wir glauben, dass sie das Nonplusultra des Zusammenlebens sei. Doch nur allein mit dieser Seite bliebe unsere Welt bewegungslos stehen und Neues käme nicht mehr zum Zuge. Erst der Konflikt bewegt uns Menschen zu einem veränderten Verhalten, er fordert uns heraus und lässt uns wachsen (wobei ich „Konflikt“ nun als ein Aufeinanderprallen widerstreitender Auffassungen definiere und nicht als Krieg!) Der Konflikt zwingt uns zum Verändern, wenn wir nicht in einer Dissonanz verharren wollen. Aufgrund der Veränderung können wir wieder harmonisch mit etwas Neuem umgehen. Diese beiden Aspekte spielen sich sozusagen einander zu.
Und wenn beides im positiven Sinne zusammen geführt wird, entsteht daraus eine konstruktive Kraft, die sich mit dem Körper erfahren lässt. Die Veränderung oder besser gesagt, die Intensität der Kraft erhält dadurch einen Schub.
Das wirklich unsagbar Aufregende daran ist für mich die Tatsache, dass das Erkennen eines philosophischen Aspektes nicht nur als ein erklärendes Bild für eine reale Welt darstellt, sondern mit dem Körper absolut erfahrbar ist.
Je näher wir Körper und Geist zueinander führen, also diese aus einem westlichen Gedankengut hervorgerufene Spaltung aufheben, um so unglaublich intensiver wird das, was wir daraus erfahren dürfen. Unsere beiden Pole werden in ihren Stärken gebündelt und zeigen sich dann eindeutig im Außen.
Diese kleine geübte Minisequenz fühlte sich plötzlich gänzlich anders an. Ich empfand sie kompakt, intensiv, bindend und zugleich nach vorne ziehend, als nähme man sich selbst im Tun an die Hand.
Gefällt mir sehr, liebe Christine, der Text und deine Betrachtung von (konstruktivem) Konflikt und Harmonie als sich prinzipiell ergänzende Aspekte.
Angst vor einem Konflikt führt nach meiner Erfahrung oft zu einer Art „Scheinharmonie“: Vordergründig ist alles angenehm und weich, tatsächlich fühlt man sich mit der Situation aber irgendwie gar nicht glücklich, weil etwas zugedeckt wurde, was trotzdem da ist. So dass diese Scheinharmonie sich schwächend auswirkt, und auch das scheint mir in meinem Körper dann spürbar. …
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Danke Dir, Maren! Das unterschreibe ich sofort! Deine Beschreibung bringt es genau auf den Punkt: Eine Harmonie, die die Hürde des Konfliktes nicht nehmen kann, weil die Angst vor der Höhe zurück hält, kann in dem Moment nicht mehr das sein, was sie eigentlich sein sollte: ein ausgleichender in der Mitte befindlicher Ruhepool, der zwei Seiten in Balance hält. Ohne Balance sind wir schwach und es reicht ein Fingertippen, um uns zu kippen … Vielen, vielen Dank für deine Worte! Lieben Gruß, Christine
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Das Erfolgsrezept, das den Menschen zur „Krone“ der Schöpfung gemacht hat, ist seine Flexibilität. Und diese hat er aus Konflikten heraus lernen müssen. Ohne diese wären wir, wie Du sagst, stehen geblieben.
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Stimmt, Flexibilität ist dann das, was sich durch das Verändern und Wachsen zeigt, wenn wir gestärkt aus einem Konflikt wieder heraus kommen. Doch für den Weg brauchen wir unbedingt ein wenig Mut, was nicht immer einfach ist … Danke Dir, Werner und lieben Gruß, Christine
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Mut stehen oder Mit-dem-Rücken-an-der-Wand-Stehen.
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Gibt es wirklich die Wände vor denen wir uns platzieren oder ist es nicht eher der Blickwinkel, den wir ungern verlassen wollen, weil wir sonst das Nicht-Handeln nicht mehr vertreten können? Sehr spannend und immer eine Frage der Sichtweise … Danke Dir, Werner!
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Es ist auch immer die Frage, ob ich als Individuum ganz für mich alleine entscheiden muss oder als Gruppe (Familie, Firma, Verein) oder als Kollektiv (Ort, Land, Staat). Hier kommt ja Vieles noch dazu: Zeitpunkt, Interessenausgleich, Kompromiss, Mittel.
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Natürlich ist dies ein Faktor, da bin ich ganz deiner Meinung. Abgesehen von den Momenten, wo andere wirklich und sofort deine Hilfe brauchen, sozusagen die Arm-Ab-Problematik, bin ich mittlerweile der Meinung, dass jeder hinhören sollte, was das eigene Herz für gut befindet oder als wichtig erachtet. Wenn wir uns selbst ständig als Letzten in die Reihe stellen, dann verhungert die Seele. Nicht umsonst ist es im Flugzeug so, dass man bei Druckabfall sich selbst erst einmal die Maske aufsetzen muß, damit wir anderen helfen können.
Wenn wir uns selbst ständig ignorieren, schwächen wir uns und werden weniger und weniger, dann können wir auch keinem anderen mehr helfen. Ich sage nicht, dass man egoistisch sein soll, sondern dass wir uns in unserem Tun und in den zu treffenden Entscheidungen nicht vergessen sollten, erst dann ist unser Tun auch authentisch, denn es verschenkt einen Teil von uns selbst.
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Ja, Du hast recht, wer sich selbst vernachlässigt, verliert sich selbst immer mehr. Es sind schon genug, die sich von uns etwas abschneiden, Kirche, Staat, …
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