Das war nun herausfordernd! Meine Balance wollte nicht mitmachen und der Körper zweifelte von Sekunde eins an der Sinnhaftigkeit meiner Entscheidung. Er besaß schließlich zwei Beine mit Füßen, die genau dafür konzipiert waren, mit einer ausgeglichenen Haltung der Schwerkraft zu trotzen.
Auf einem Bein stehend schlug ich mit dem Schwert gerade einfache Schläge. Dabei galt es die Schultern nicht zu verkrampfen, das Standbein beweglich etwas eingeknickt zu behalten und nicht starr wie ein Storch zu verharren. Damit kein Hohlkreuz entstand und der Schwerpunkt nicht zu hoch lag, sollte zudem das Becken leicht nach innen kippen und die Schulterblätter immer wieder zueinanderfinden.
Auf diese Art regungslos herum zu stehen, das war kein Problem. Doch sobald die Bewegung dazu kam, kippte ich, als würde sich jemand einen Spaß machen und meine Achse mit dem Finger aus der geraden Haltung heraustippen. Ich lachte. Physik würde mich solange korrigieren, bis ich in der Lage war, ihre Regeln nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu befolgen.
Ich wollte meinen Schwerpunkt mit einer geschmeidigen Bewegung verändern können. Bei der Schwertarbeit gab es unzählige Momente, in denen die Balance für einen kurzen Moment auf einem Bein ruhte, um von hier aus mit einem schnellen weiteren Schritt agieren zu können. Wer an dieser Stelle bereits kippte, der brauchte keinen Gegner, der brachte sich schon allein zu Fall.
Also übte ich. Mein Körper besaß alle Voraussetzungen für diese Balance, ich musste ihn nur noch davon überzeugen …

Künste besitzen Geheimnisse, die innerhalb des Tuns ihre Wirksamkeit entfalten. Sie helfen uns, nicht stehen zu bleiben. Sie helfen uns, die Fäden aufzunehmen, um in unserem Selbst stetig zu wachsen.
Wenn ich irgendwann es schaffe, auf einem Bein mein Schwert zu schlagen, dann liegt nicht der wichtige Punkt darin, meine Übung als eine gemeisterte abhaken zu können.
Der wichtige Punkt liegt darin, mit jeder weiteren Übung eine Tür aufzubehalten, durch die innerer Wandel geschieht …
Ich kann mir nicht helfen, liebe Christine, aber irgendwie sehe ich da eine Korrelation zu de
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…. zu der Aussage von Marx „Das Sein verändert das Bewusstsein.“
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Der Unterschied zwischen ein Außen und Innen bewegt uns Menschen zu einer Veränderung, das sehe ich auch so. Wobei Marx noch einen Schritt weiter ging und unser Bewusstsein lediglich als ein Reflex oder Spiegelung des Äußeren sah. Wird dann aber nicht der Mensch als Opfer dargestellt? Wie viel Freiheit bleibt dann dem menschlichen Geist? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch das Formen und Verändern initiiert, sei es ihm bewusst oder nicht. Die Entscheidung, inwieweit wir auf ein Außen zugehen, liegt in der eigenen Hand.
Wenn mein Körper die Balance nicht halten kann, obwohl er alle Voraussetzungen dafür besitzt, dann liegt es an mir, dies zu verändern. Es lässt sich dann aus unterschiedlichen Perspektiven sehen: Schenke ich mir eine Fertigkeit, die mich ergänzt? Oder verändere ich mein durch gelebte Jahre entstandenes Ich, das mich durch ein Nach-außen-gerichtet-sein einschränkt?
Die Kampfkunst ist für mich ein Üben in der Annäherung zwischen Körper und Geist. Es hilft, dem eigentlichen Wesen in uns Ausdruck zu verleihen. In einem Üben werden wir durchlässig für das, was bereits in uns steckt und nur noch entdeckt werden will. Viele Dank, Werner! Lieben Gruß, Christine
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Interessanter Aspekt: die Übung wird nach und nach zur Routine und damit werden wir frei, gleichzeitig andere Aspekte/Möglichkeiten aus einer und über eine aktuelle(n) Position heraus/hinaus wahrzunehmen (und sozusagen eine zweite/erweiterte Bewußtseinsebene zu schaffen?).
Danke für die Anstösse!
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Vom Prinzip her, ganz bestimmt! Es ist aber kein unwirkliches Konstrukt, für das wir dann frei werden. Wenn unser Tun, unser Werk oder Schaffen durch viel Übung und gesammelten Wissen gut wird, dann heißt es nicht unbedingt, dass mein inneres Können bereits in dieser Güte angekommen ist. Wenn ich auf einem Bein in voller Balance mein Schwert ruhig im vollen Zentrum liegend schlagen kann, dann ist dies nur die eine Hälfte von dem Ganzen. Während der Übung übe ich auch meine innere Balance. Das Schlagen des Schwertes sollte mir dann auch möglich sein, wenn mir hundert Menschen dabei zusehen oder jemand auf mich einredet oder oder oder… mein Selbst zeigt sich als rundes Ganzes, wenn sich das innere mit dem äußere Können verbindet. Es verwirklicht sich dann ganz unangestrengt im Tun … Danke Dir für das Teilen Deiner Gedanken!
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