Das fühlende Auge

Das wirklich Beruhigende erscheint mir in der Tatsache zu liegen, dass das Leben nicht aufgibt, uns immer und immer wieder mit unserer nächsten Aufgabe zu konfrontieren. Erst nehmen wir diese winzigen Gedankenfetzen wahr, die scheinbar unkontrolliert ins Bewusstsein fallen, dann kommen längere Sequenzen hinzu, vielleicht irgendwo zwischen zwei Tassen Kaffee und sollte unsereins nicht darauf reagieren, tja, dann wird das Außen eingeschaltet, wo immer man sich gerade befindet …

Mit einem satten Geräusch trafen die Schwerter für eine Sekunde aufeinander und konstruierten ein Innehalten, das gleichzeitig mit einem Ausschauhalten sein Eigenleben entwickelte. Wie in einer angehaltenen Szene eines Films, die noch die Bahn tausender, flirrender Staubkörnchen verfolgte, betrachteten wir uns über die gekreuzten Schwerter hinweg.

Nein, wir standen auf keinem Schlachtfeld und befanden uns auch nicht in einer lebensbedrohlichen Situation auf der Straße. Wir standen auf der Matte, um Wesentliches an die Oberfläche zu holen und es greifbar in den Vordergrund zu rücken.

Im Grunde war es ein Herantasten an ein Mirakel. Ein Umkreisen eines für mich nicht wirklich erklärbarem Phänomens. Wie gerne würde ich es mit Worten erfassen, es mit einer Beschreibung dingfest machen, die das Wesentliche zu Bildern werden ließe. Ich konnte es aber nicht.

Passten die Worte anderer, um dies als Wegbeschreibung für mich selbst nutzen zu können? Oder musste dies, was ich suchte, diese eigenwillige Mitte, dies Zentrum und zugleich Verknüpfungspunkt zwischen Körper, Geist und Außen nicht von jedem allein gefunden werden?

Konzentriert fokussierte ich mich. Da war sie, die angelehnte Tür mit der Aufschrift „Zutritt nur für geklärte Individuen“. Sie war die Pforte zu mir selbst sowie zu meiner Trainingspartnerin und zugleich ein Werkzeug, um die Situation in den Griff zu bekommen. Ein Rundum-Paket im wahrsten Sinne des Wortes.

Gegenüberstehend befanden wir uns in der direkten Linie des Anderen; wir versperrten uns gegenseitig den Weg. Durch einen leichten Druckpunkt über die Schwerter klappte das Fenster mit Weitsicht auf. Dieser physische Kontakt entsprach einer direkten Kabelverbindung mit dem WLAN, besser ging nicht. Der eigene Körper erfasste die allernächste Bewegung des Gegenübers in einem Jetzt auf Gleich, vorausgesetzt, ich stand mir nicht mit unzähligen Gedanken selbst im Weg.

Herrje, sich keine Gedanken zu machen, das war unglaublich schwer! Ging das überhaupt? Ich wollte mich von einem Tun befreien, das Jahrzehnte gute Dienste leistete. Um sehen zu können, musste die Sicht frei sein, frei von Überlegungen über richtig oder falsch und auch frei von diesen innerlichen Supervorschlägen, wie etwas besser gewesen wäre.

Immerhin sah ich, was im Weg lag. Genau hier und an diesem Punkt wollte ich üben und nochmals üben, am Zentrum, an dem Ort der Orientierung, aber auch des Wandels …

das braucht halt seine Zeit.

Worte sagen so vieles und manchmal nur wenig. Sie sind eingefärbt mit Sinn versehen, mit Klang versetzt und doch kommen sie nicht immer an. Sie sind eine Krücke der Verständigung. Und trotzdem können wir uns verstehen, wie die vermeintlich stummen Fische im Schwarm; vielleicht nur halbwegs mit so wunderbaren Bildern, aber wir können es, mit unserem Zentrum.

Es befindet sich unterhalb des Bauchnabels und ist die physische Mitte unseres Körpers. Dort entsteht Ki und Körper und Geist werden hier zu einem Team. Vielleicht kann man es wie ein Sammelplatz all unserer Möglichkeiten sehen, der mit Sender und Empfänger versehen ist. Es zeigt sich als Gefühl. Die Arbeit mit dem Schwert ist eine von vielen Möglichkeiten, sich selbst mit diesem tollen Werkzeug kennenzulernen und vor allem auszuprobieren.

Ist es nicht den Versuch wert, dem Außen mit all unseren Mitteln entgegenzugehen, egal, was da kommt? Es passiert nichts Schlimmes, sondern nur etwas sehr Aufregendes: Wir wachsen …