Beim Nachschenken erzählte Veyla mit bunter Begeisterung von Traube und Anbau des tiefroten Weins. Als Besitzerin einer kleinen Vinothek im Inneren Bezirk wusste sie wovon sie sprach. Außerdem passte der Rote perfekt in den zufälligen Abend, der sich vorhin einfach hier draußen im Hof ergab. Gunnar brachte Monopoly, Veyla Wein und ich kleine Käsehappen.
„Veyla, ich vergesse trotz der überzeugenden Bestechung nicht, dass du mir Miete schuldest!“, lachte Gunnar, der mittlerweile alle teuren Straßen besaß.
„Ich bin da ganz locker, lieber Gunnar, schließlich nenne ich einige Hotelanlagen mein Eigen und schöpfe sozusagen aus der Fülle!“.
Nun gut, ich selbst saß im Gefängnis und paralysierte gerade die Würfel, um sie von der Notwendigkeit eines Pasches zu überzeugen.
„Warte!“ Veyla stellte die Flasche ab, sprang zu meinem offenen Küchenfenster, griff sich den auf der Fensterbank stehenden Würfel und tauschte ihn mit meiner Spielfigur aus.
„So, der bringt dir Glück!“ Ich lachte und freute mich; sie hatte ein mitfühlendes Herz. Vermutlich brauchte ich jede Unterstützung; mein Bargeld belief sich gerade noch auf zweihundert Euro in kleinen Scheinen, drei von meinen Hotels lebten bereits mit einer Hypothek und „Los“ war noch meilenweit entfernt.
„Oh ja, dann aber alle!“ Gunnar sprang ebenso auf und holte sich seinen geklebten Würfel und platzierte ihn auf dem Spielfeld. Einen Augenblick später stand auch Veylas dort.
„Gehts nun weiter?“ Prüfend schaute ich in die Runde.
Mitten in der Bewegung hielt mich Veyla am Oberarm fest: „Stopp!“ Überrascht schauten wir sie an.
„Gunnar! Du hast geschummelt!“
„Äh, was?“ Überrascht schaute er hoch, „ganz bestimmt nicht!“, erwiderte er entrüstet. Man könnte meinen, sein roter Schopf stünde in Flammen, so sehr zog er seine Augenbrauen zusammen.
Wir alle drei blickten aufs Spielfeld. Gunnars Würfel befand sich tatsächlich nicht mehr da, wo er vorher stand, sondern zwei Straßen weiter. Doch um genau zu bleiben, musste ich bemerken, dass Veylas Würfel ebenso wenig seinen Platz behalten hatte; auch ihrer lag zwei Felder weiter, als wolle er dem von Gunnar schon mal entgegeneilen. Nur meiner schien auf der gegenüber liegenden Seite im Gefängnis zu verharren. Etwas verwundert zeigte ich mit dem Finger auf ihren Würfel und sah sie an.
„Oh!“, mehr brachte sie nicht zustande.
Gespannt saßen wir neugierig nach vorn gebeugt und beäugten die Würfel, als seien es materialisierte Aliens direkt vor unseren Augen. Ohne darüber nachzudenken, schob ich aus der Laune heraus meinen Würfel ebenso zwei Felder weiter. Währenddessen schaute ich grinsend hoch und wartete ob meiner Dreistigkeit auf eine Reaktion meiner Mitspieler, bis ich sah, dass sie immer noch fasziniert aufs Spielfeld starrten. Irritiert folgte ich den Blicken …


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Wer weiß schon, warum die Dinge ihre unaufhaltbare und greifbare Umsetzung einer Realität unbedingt gerade in diesem Moment oder in einer noch nicht vorstellbaren Zukunft zu erkennen geben? Im Rückblick erscheinen sie uns so geordnet, so schlüssig und unglaublich strukturiert, als hätten wir es selbst wohl überlegt. Wir wundern uns nur, warum sich ein Verständnis erst immer am letzten Ende des Besenstiels einfand. Wer weiß, vielleicht hielt uns die Unwucht sonst vom Fliegen ab …
Was wissen wir schon? Zu jeder Zeit, irgendwo innerhalb der Jahrhunderte glaubten wir immer und vollständig daran, dass Wissenschaft uns zum Zeitpunkt eines Jetzt zu der ultimativen Realität geführt hätte und damit die Welt wie ein offenes Buch vor uns aufschlagen ließ. Unterscheidet sich ein Vermuten und ein Wissen so sehr voneinander? Beides scheint im Erforschen der Mysterien keinerlei Ende zu finden, so als wäre die Welt uns selbst immer einige Spielfelder voraus.
Verfolgen wir die Strömungen des Windes, das Ausbilden von Kreiseln, dann sehen wir dies Einfügen der Bewegungen, dies Ineinander-verwoben-sein. Kein Luftstrom bewegt sich, ohne einen anderen dadurch mitzunehmen. Keiner.
Genau so verändern wir auch: Jedes gesprochene oder gedachte Wort, jede Emotion verändert die Welt. Kann es dann noch unwichtig sein, was der Einzelne denkt, sagt oder tut?
Jeder trägt seinen Teil bei, denn wir spielen alle zusammen …
Oh, wie schön, ich habe schon auf die Fortsetzung gewartet! Du hast ja mit diesen Folgen etwas Neues ausprobiert. Deine Betrachtungen nach jedem Abschnitt sind wirklich eine Bereicherung meiner eigenen Sichtweise. Ich danke Dir und liebe Grüße, Angelika
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Ich danke Dir für die lieben Worte! Es freut mich sehr! Lieben Gruß, Christine
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Alea iacta est: immer unumkehrbar und unausweichlich?
Wenn ich aber der Hexe den Stiel kürze oder ein großes Stück Wald rode und der Wind dadurch anders gedreht wird, ist auch das vorbestimmt?
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Es ist der Blickwinkel … unausweichlich ist eigentlich nicht das, was ich sagen möchte, dies empfinde ich so auch nicht, sondern: einerseits erscheinen uns die Wege im Nachhinein so klar und deutlich, und andererseits mischen wir alle in dem Prozeß der Wegbildung mit. Wir alle sind wie zusammenfließende Wassertropfen, die gemeinsam den Fluß ausmachen, er findet seinen Weg, nie gerade, sondern immer ganz interessant gewunden und verschlungen, aber er findet ihn. Lieben Gruß, Christine
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