Der Plan lag vor uns ausgebreitet auf dem Tisch, als stünden wir inmitten einer schaukelnden Kajüte eines Piratenschiffes und Hook würde höchstpersönlich mit seiner Hakenhand die Linien nachzeichnen.
Gut, wir hatten das Wasser, den Strand, den Himmel, nur das Schiff ankerte auf der übernächsten Sanddüne und Hook war grad nicht da. Das erste Sonnenlicht brach sich auf der ruhigen See und ließ den aus Bechern dampfenden Kaffee wie pures Gold erscheinen.
So diskutierten wir über Strategien und Aufgaben: Wer war am schnellsten, wer am geschicktesten und wer konnte selbst unter Druck Kniffliges lösen, ohne sich von der Umgebung verrückt machen zu lassen?
Ich war aufgeregt und betrachtete immer wieder den Horizont; das half, die Atmung nicht im Gleichklang mit dem Puls zu verlieren. Im Grunde ging es um nichts, schließlich war es ein Spiel. Doch einmal in diese Welt getreten, ging es um alles; jeder gab, was er hatte und lieh sich aus dem Miteinander noch vieles mehr. Damit diese Tatsache auch wirklich unmissverständlich ihren Ausdruck fand, banden wir uns gegenseitig grüne Stoffstreifen um die Handgelenke. Es war ein Gruppenzeichen, um später die Mannschaften im dichten Gewusel auseinanderhalten zu können. Als i-Tüpfelchen schminkte uns Zuza einen grünen Streifen quer über die Augen, was den Grad unserer Verspieltheit perfekt unterstrich.
Die kleine, messingbeschlagene Schatztruhe war unser Ziel. Noch befand sie sich irgendwo versteckt auf dem alten Kutter, der in Sichtweite vor Anker lag und mit seinen nickenden Bewegungen steigendes Wasser ankündigte; spannend, denn zum Höchststand ging es los.
Das quirlige Lachen und Scherzen zog Energien zu langen Luftschlangen; sie schienen wie ein Feuerwerk, das uns genau da platzierte, wo wir sein wollten: In einem Abenteuer ohne Anfang und Ende, das sich im Faltenwurf der Zeit wohlfühlte. Alles geschah gleichzeitig: die eigene Betrachtung, das Hüpfen des Sonnengeflechts, das Kichern, die Wärme der aufgehenden Sonne, das Kommen der Flut und das weiche Gefühl des auflösenden Sandes zwischen den Zehen.
Die Flagge senkte sich. Wir rannten, als zerfiele die Welt hinter uns. Mit lautem Gebrüll stürzten wir in die Fluten. Die Blauen waren schon gefährlich nah; ihre Bänder an den Handgelenken zuckten immer wieder ins Blickfeld. Sechs Seile hingen am Schiffsrumpf; die galt es so schnell wie möglich zu erreichen. Wer zuerst eines berührte, sicherte den Aufgang für die eigene Mannschaft.
Was soll ich sagen … es war einfach toll! Wir suchten, wir lösten Aufgaben, wir rangelten, wir halfen uns gegenseitig, wir lachten, bis uns das Zwerchfell nicht mehr seinen Dienst erweisen konnte und … wir verloren.
Die andere Mannschaft erkämpfte all unsere Bänder. Sie gewann die Schatzkiste mit den Schokotalern und damit ein von uns zubereitetes Abendbrot. Der Gewinner besaß aber auch eine Aufgabe: es oblag ihm, für eine musikalische Untermalung zu sorgen. Eine schöne Idee.
So kam der Abend: Wir waren satt, zufrieden, müde, in Decken gewickelt und hielten Becher mit heißem Tee in den Händen. Wind kam auf und die Sonne zeigte sich nochmals in einem Glutrot, bevor sie der Blauen Stunde Raum gab.
Auf einem alten Fass saß der Sänger am Heck des Schiffes. Mit seiner Gitarre auf dem Knie entrückte sein Blick. Die tiefe Stimme erzählte eine Ballade aus alter Zeit und lockte die Sterne, bis wir ihre glitzernden Ränder gut erkennen konnten.
Da waren wir nun, alle beisammen. Aus Grün wurde Blau und Blau fing uns ein mit Gesang, der wiederum allen galt. So genoss ich …
das Jetzt.

Photo by Sergey Semin on Unsplash
Spielen ist Genießen, als bekäme ich einen übergroßen dampfenden Milchkaffee mit einem riesigen Stück selbst gemachter Schwarzwälder-Kirschtorte: Der rote Saft der Kirschen fließt über die süße Sahne, die überreich den weichen dunklen Schokoladenboden bedeckt, um schließlich den ersten Bissen von der wippenden Ecke mein eigen zu nennen;
ein Vergnügen mit allen Sinnen …
„Faltenwurf der Zeit“ gefällt mir aussergewöhnlich, so wie die Leichthaendigkeit Deines Schreibstils.
LikeGefällt 1 Person
Ich freue mich! Danke, Werner! Lieben Gruß, Christine
LikeLike
danke fürs erzählen…
lg wolfgang
LikeGefällt 1 Person
Dafürnich 😀 Es hat mir Spaß gemacht und wenn ich erzähle, dann erlebe ich die Dinge, die bereits geschehen sind nochmals, als fänden sie nochmals statt oder aber ich erträume mir etwas und gebe diesem Traum das Gefühl des wahrhaft stattfindenden … Spielen ist etwas zutiefst Lebendiges, es schenkt das Gefühl, da zu sein, zur rechten Zeit und am richtigen Ort. Danke Dir für Deine Worte, Wolfgang! Lieben Gruß, Christine
LikeLike