Wellen in der Luft

Leise und doch hörbar begleitete ein tiefes Surren den Schnitt durch die Luft. Mit dem Bokken in der Hand übte ich an einer Kata, die in meinen Augen nicht nur eine elegante Form besaß, sondern auch und vielleicht gerade deshalb ein absolut fließendes Gefühl im Tun hinterließ.

Etwas seitlich gedreht fuhr das Schwert unterhalb des angreifenden Armes hindurch und verlief quer über den Bauch des Gegenübers; eine weitere Schleife führte dann zu einem direkten Schlag und beendete den Angriff.

Die vollständige Abfolge besaß ihren eigenen Rhythmus, gleich einem strömenden Fluss, der einmal in Bewegung, sich nur schwer aufhalten ließ. Der Körper musste wissen, was er tat, denn im Grunde arbeitete er ganz allein; ein Nachdenken oder bewusstes Bewegen war durch den schnellen Verlauf kaum möglich.

Es galt nun, dem anderen so nahezukommen, dass der Bokken exakt direkt auf dem Gi entlang zog, ohne seine Bahn zu verlassen, aber auch ohne den anderen zu verletzen.

Ich probierte und probierte und kam dem Stoff nicht näher. Immer wieder zog die Schwertspitze am Gi ohne Berührung vorbei. Es war echt schwer! Eigentlich konnte ich mittlerweile sehr wohl kontrolliert den Bokken bewegen. Warum war also diese Form der genauen Führung ein Problem?

Nun stand ich meinem Lehrer gegenüber und sollte ihn am Anzug treffen. Es klappte nicht. Immer wieder zog ich den Bokken Millimeter davor entlang. Auch eine Art exakter Arbeit! Etwas frustriert probierte ich mit unterschiedlichen Distanzen herum und landete dann doch wieder am Ende des Schwungs, ohne den Gi berührt zu haben.

„Du hast Angst.“

Überrascht schaute ich auf. Ich hatte kein Problem damit, Angst zuzugeben, wenn ich sie hatte, aber hatte ich sie? Hmm, es sah wohl ganz danach aus! Etwas zweifelnd lächelte ich zurück.

„Dann triff mich jetzt ganz.“

Allein die Vorstellung verlangsamte sofort meine Bewegung. Direkt vor dem Körper den Bokken zu stoppen ist eine Sache, aber ihn wirklich und wahrhaftig bewusst treffen zu wollen eine ganz andere.

„Ok, und jetzt in der Kata.“

Deutlicher ging es für mich nicht. Ich wusste in dem Moment, dass ich auf einer inneren Grenze stand, die sich vehement gegen ein Überschreiten aussprach und die Problematik skeptisch von allen Seite beäugte. Ich schimpfte mit mir selbst. Im Grunde ging es doch nicht darum, nun jemanden zu verletzen, sondern den Gi hörbar zu streifen! Das war immer noch ein Agieren im Außen. Ich robbte mich nur ein Stück näher an den anderen heran.

Mit vielen Wiederholungen schaffte ich es schließlich, das dumpfe Geräusch des Entlang-Gleitens hervorzubringen. Es kam natürlich auch darauf an, ob der Trainingspartner unbeweglich verharrte oder den Bauch einzog.

Unser Körper ist der absolute Lehrmeister, der uns teilhaben lässt an diesem Ganzen, als spielte die Hand über alle Saiten der Harfe und jeder Ton bliebe vor unseren Augen bei seinem Anklingen vor uns stehen, damit wir ihn berühren konnten.

Geräusche sind Schwingungen, die wir mit unserem Körper aufnehmen. Ebenso sind Empfindungen Schwingungen, wie ein Erfühlen, ob wir das Zentrum unseres Gegenübers erfassen. Diese Schwingungen erreichen uns und erzählen etwas über das Wesen, über das Innerste des außerhalb von uns Existierenden. Es sind aber keine Einbahnstraßen, sondern Zwei-Wege-Bahnen, die in Wechselwirkung stehen. Sie erzählen von einem Bild ganz nach Beschaffenheit:

Wenn wir in den Spiegel schauen, sehen wir es.

Vielleicht ist genau das die eigentliche Wirksamkeit des Dos. Wir bewegen uns und lernen mit dem Körper, der dann den Istzustand in unserem Innern ungefragt offenlegt. Denn alles, was ich denke und fühle, hat Auswirkungen auf meinen Körper und alles, was mit meinem Körper geschieht, hat Auswirkungen auf meine Gedanken.