Auf zum magischen Fluss

Kühles Gras am frühen Morgen ist Farbe und Form zugleich. Es ist etwas Absolutes von außen, das die gesamte Welt von einem Moment zum anderen mit den schlicht vorhandenen Tatsachen konfrontiert: Zwei Dinge gehören zusammen; sie sind eins und doch zwei und können vieles mehr sein, wenn wir es möchten …

Konzentriert mit dem Bokken in der Hand bewegte ich mich durch all die Tautropfen, die meine Fußsohlen kühlten und mich im ersten Moment ein wenig ablenkten. Das kannte ich schon; so wartete ich. Ich wartete auf mich selbst, bis mein Fokus da war, wohin er gehörte.

Betont langsam arbeitete ich an den Baustellen, die nicht so schnell von jetzt auf gleich verändert werden konnten. Dabei ließ ich mir selbst die Zeit zu verstehen; zu verstehen, warum sich die eigene Vorstellung noch nicht in der Bewegung spiegelte.

Wie oft benutzten wir unseren Körper so, als hätten wir aufgehört zu lernen? Irgendwann genügte es unserem Tun, sich so oder so zu bewegen und im Grunde gab es auch mit den Jahren gar keine weitere Überlegung, ob dies Ergebnis wirklich alle Möglichkeiten ausnutzte oder nicht.

Seit meinen ersten Stunden auf der Matte wusste ich jedenfalls ganz genau, dass viel, viel mehr möglich war. Niemand sollte hier das Alter als Argument einbringen, es spielt keine Rolle. Denn es geht um den Blick hinter die eigene Kulisse, die mit den Jahren irgendwann entstand und gleich den Mauern einer Burg unverrückbar ihr Bollwerk verteidigt.

Ein Bokken in der Hand ist Tun und Fühlen zugleich. Es ist etwas Absolutes von außen und innen, das verlorene Fäden zusammenknüpft, um die Muster im Zwischenraum des Miteinanders deutlich hervorzuheben. Zwei Dinge gehören zusammen; sie sind eins und doch zwei und können vieles mehr sein, wenn ich es möchte …

Während ich übe, erinnere ich mich der Worte unserer Lehrerin: Die Hände führen niemals das Gleiche aus, nie! Sei es mit oder ohne Waffe … ein Prinzip. Obwohl Prinzipien mit ihren inne liegenden Bedeutungen so viel buntes Eigenleben besaßen, half es mir, in eine bestimmte Richtung zu gehen, zu erforschen und genauer hinzusehen.

Bei der Umsetzung einer Technik, die in Sekundenbruchteilen bereits vorüber sein konnte, blieb nie genug Zeit, Grundlagen an einem selbst zu beobachten. Wenn ich ein Prinzip als Wurzel für die Art und Weise einer Ausführung verstand, dann war das Ausprobieren der Stamm, der unzählige Äste und Zweige ausbilden konnte, um den Himmel zu erreichen. Ich schaute hoch; dieser war im Moment unglaublich blau, als wäre er blank geputzt, wie ein neues Blatt Papier, das nur noch auf mich wartete.

Wenn beide Hände gleichzeitig und identisch den Bokken bewegten, dann war es lediglich eine Veränderung des Ortes, als schöbe ich ein Spielzeug-Auto von links nach rechts. Wenn aber meine linke Hand das Schwert zog oder drehte und die rechte Hand die Kontrolle übernahm, dann entstand Dynamik, deren Kräfte Einfluss auf die Bewegungsabfolge besaßen. Der Unterschied war sofort spürbar. Zwei Dinge gehören zusammen; sie sind eins und doch zwei und können vieles mehr sein, wenn ich es möchte …

Das eigene Tun bekam damit eine Intensität, die an einen schnell fließenden Fluss erinnerte. Ein vorsichtiges Hineinlangen ließ das Innerste eine Vorstellung bekommen, mit welchen Energien wir uns umgeben können, wenn wir nicht aufhören, immer einen kleinen Schritt weiter zu gehen. Denn es gilt mutig zu sein, es gilt darauf zu vertrauen, dass wir alle Werkzeuge der Welt besitzen, um nicht zu versinken.

Jeder neue Aspekt, den wir annehmen und uns aneignen wollen, zeichnet den Pfad, der ganz speziell und einmalig ist. Wir erkennen ihn, wenn wir uns darauf befinden, denn er ist leicht und kraftvoll zugleich, er ist einfach und doch manchmal schwierig zugleich, er ist da, sobald wir ihm entgegengehen. Er öffnet unser Herz, sodass wir es dem blauen Himmel nachempfinden können: Wir fühlen uns blank geputzt, offen und unglaublich nah zu allem was wir erblicken.

Spannend …

Im Aikido findet jeder, der sich danach umschaut, philosophische Prinzipien, wie z. B. Gewaltlosigkeit oder ein bestimmtes Menschenbild. Dann gibt es psychologische Prinzipien, wie z. B. Motivation und Emotionen und es gibt die physiologischen Prinzipien, wie z. B. Atmung und Haltung. Alles zusammen ergibt eine Richtung, die den Aikidoka genau zu dem Weg führt, der seinem Wesen entspricht.

Bei mir wird es immer die spielerische Variante sein, die mein Herz mit Freude erfüllt, als rollte ich mich den ganzen Abend durch alle möglichen Kokyus und sehe dabei das Glitzern eines Jeden, das mich wundersam ankommen lässt.