Blitz und Donner

Mit dem Schwert in der Hand verharrten wir ruhig im sonnigen Hinterhof. Bewegungslos horchten wir in uns hinein. Wo war die Verbindung zum Boden? Spürten wir unseren Körper? Fühlten wir uns gut ausbalanciert?

Körper ist nicht nur Körper; er ist kein abgeschlossenes Gefäß, wie ein Tresor, der alles abschottet. Er erfährt jede Sekunde seine Umwelt, bewusst oder unbewusst. Unzählige Informationen werden zusammengefügt, verarbeitet und ausgewertet. Wir besitzen dadurch einen Körpersinn, der uns sagen kann, wie sich Schwerkraft anfühlt, wo ein Außen beginnt oder endet, ob wir uns im Lot befinden oder ob uns jemand von hinten anstarrt. Im Alltag achtete niemand darauf, doch heute wollten wir dies tun, um unsere Stabilität zu verbessern.

Unser Lehrer verwies auf unsere Fußsohlen. Hier lagen neun Punkte, die den physischen Kontakt zum Boden herstellten. Bei einer Drehung brauchten wir entweder die, die sich unter dem vorderen Ballen befanden oder den unter der Hacke. Nicht nur der Fuß folgte dann dieser Aufgabe, sondern auch unser Knie und somit das ganze Bein.

Wer es ausprobiert, bemerkt den Einfluss auf die Hüfte. Sie ist eine haltende Brücke, die entweder als Canyon-Übergang aus Seilen hängend ihr Dasein fristet oder gleich der Golden Gate Bridge ein stabiles Konstrukt für unsere Mitte bietet. Kleine Winkelveränderungen mit dem Steißbein verändern sofort die Position. Bewegten wir es nach vorn, dann drehten sich die Beine etwas nach außen, als wollte man zwei Schrauben im Erdboden versenken. Das ließ sich nutzen.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf übten wir an einer fast unspektakulär erscheinenden Schleifenbewegung des schwingenden Schwertes. Sie wendete den frontalen Schlag des Trainingspartners ab, um dann innerhalb der gleichen Ausführung am Hals des Gegenübers zu landen.

Die Form beinhaltete etwas Eigenwilliges und als ich mich daran probierte, merkte ich auch, woran es lag: Sie fühlte sich im ersten Moment wie ein Angriff an: Martialisch, kriegerisch und mit einem Ki-Ai verbunden, verschwand beim Gegenüber mit Sicherheit jeder träumerische Gedanke.

Doch je länger wir übten, umso mehr veränderte sich dies Gefühl. Je größer die Art der Selbstverständlichkeit aus der Bewegung heraus wurde und damit eine Leichtigkeit entstand, umso mehr wandelte sich das als Angriff erscheinende Tun zu einer Verteidigung, die die Situation kontrollierte.

Langsam wurde mir auch klar, warum wir vorher so genau an unserer Haltung übten, denn ohne diese gute Basis, wäre eine Umsetzung überhaupt nicht möglich. Durch die körperliche Stabilität kam der Impuls des eigenen Körpers so, als stünde man mit dem Rücken zu einer Wand und würde sich mit dem Fuß abfedern. Wir katapultierten uns förmlich selbst in den Mittelpunkt, traten ein und formten das uns aggressiv Entgegenkommende schnell und sicher um.

Unser Gegenüber hatte keine Chance; es musste sich einer harmonischen Einheit ergeben.

Morihei Ueshiba schrieb:

„Versuche heldenhaftes Ki beständig fließen zu lassen und übe, dich wie ein Lichtstrahl zu bewegen. Bezüglich der Technik ist von alters her überliefert, dass die Bewegungen fließen müssen wie Blitze und die Angriffe einschlagen wie Donner. Diese Prinzipien kann man mit den Augen sehen, doch auf der Suche nach dem Göttlichen musst du fleißig trainieren und die Prinzipien meistern, die menschliche Augen nicht sehen können – die Funktionen von Wasser und Feuer im gesamten Universum.“

In: Budō; Das Lehrbuch des Gründers des Aikidō, Heidelberg, 1997, S. 38.