Wie schnell sind Bilder einfach da! Der Körper bewegte sich und Erinnerungsfetzen mogelten sich ungefragt ins Tun, obwohl meine Konzentration völlig in der Aufgabe ruhte: Mit einem Ausfallschritt nach links lag mein Schwerpunkt auf meinem linken gebeugten Bein; das rechte schien sich dort festzuhalten, wo ich gerade eben noch stand. Mit den Händen unweit vor meiner Stirn hielt ich das Schwert horizontal nach rechts, sodass es parallel zum rechten Bein verlief.
In dieser Position schlug mein Gegenüber auf das quer liegende Schwert. Dieser Impuls brachte es in die Vertikale, während meine Hände es dann hinterm Kopf wieder nach oben führte. Mein Körper folgte diesem Schwung und stand damit wieder aufrecht, um das gegnerische nun quer liegende Schwert von oben zu treffen.
Diese kurze Sequenz übernahmen Angreifer und Verteidiger in Aktion und Reaktion als Endlosschleife und produzierten ein lautes Klackern der Schwerter, das im sommerlichen Hinterhof seinen Widerhall fand.
Im Grunde blieb überhaupt kein Raum für irgendwelche Gedanken, doch Bilder schienen da ganz anderer Meinung zu sein: Es war ein Aufflackern einer Erinnerung, an einen riesigen Wandteppich an einem verregneten Museumstag. Ich betrachtete die unermüdlichen Seidenstiche und fuhr verbotenerweise mit dem Zeigefinger über die Abbildung eines Mannes hinweg, der ebenso seinen Schwertknauf vor die Stirn hielt und den kommenden Schlag aufnahm.
Zwei völlig unterschiedliche Zeiten, zwei völlig unterschiedliche Situationen mit ihren von Grund auf absolut anderen Intentionen, überlagerten sich in einem kaum fassbaren Bild für einen winzigen Augenblick. Meine Konzentration war dadurch einen Moment nicht dort, wo sie sein sollte und schon verhedderte sich mein Körper. Missmutig stellte ich mich wieder in die Ausgangsposition, um erneut zu beginnen. Es kann doch nicht sein, dass eine Minute der Achtsamkeit nicht machbar war!
In alten Zeiten verliefen die Kämpfe in den Schlachten den ganzen Tag! Die dortige Konzentration umschlang auf dem Feld die eigene Existenz und ließ nichts anderes zu; unvorstellbar! Ich seufzte. Also noch mal.
Absolut mit den Energien zu gehen, war manchmal keine einfache Sache. Wie sehr waren wir darauf getrimmt, tausend Dinge gleichzeitig zu tun und sind sogar stolz darauf, wenn wir Multitasking-fähig sind. Beim Schwertkampf wird genau das Gegenteil trainiert: Ein zukünftiges Können verlangt nur eines: uns selbst, mit Haut und Haar, völlig und hundertprozentig. Diese vollkommene Einheit sollte sich dann einfügen, sich in die vorhandenen und entstehenden Energien hinein legen und ihnen die Führung überlassen.
Ein aktives Vorwegnehmen des ankommenden Schlages geschah so schnell! Schließlich wusste man während des Trainings ganz genau, was kam, welche Bewegung sich für den eigenen Körper ergeben würde. Doch dies hätte der ganzen Übung den Sinn genommen.
Und wäre dies nicht wirklich schon genug, so kam noch der Einfluss des Gegenübers dazu. Spürbare Intensität eines anderen fand seinen Weg bis ins eigene Mark und veränderte damit auch das eigene System. Wer mit unterschiedlichen Partnern trainiert, spürt sofort die Unterschiede der innewohnenden Kraft, die sich über das Schwert manifestiert.
Eine Koordination all dieser Einflüsse empfinde ich als riesige Herausforderung. Es kommt mir vor, als müsse ich mit drei Händen auf dem Klavier spielen, nur, die Ausrede, dass ich nur zwei hätte, zählte nicht.
Vielleicht brauchte es auch Vertrauen in sich selbst, dass das eigene Vermögen immer gut genug ist, die Aufgabe umzusetzen. Vielleicht ist ein Trainieren gar kein Entwickeln von Fähigkeiten, sondern ein Finden derselben. So wie uns die Bilder aus unserem Inneren irgendwann und irgendwo finden, so finden wir in uns, was wir lernen wollen.
Es sind die Anstupser von außen, wie Kunst, Musik, Natur und Menschen, die uns zurufen: kalt, kalt, warm, sehr warm oder gefunden! Alles hilft uns, uns selbst kennenzulernen
… und sei es mit dem Finger auf seidigem Grund.

Anm. z. Titel: Lateinisch für:
1) die innewohnende Kraft zur Bewegung
2) die etwas anderes bewegende Kraft
3) der entscheidende Einfluss
4) der eher kurze Zeitraum
Sehr schön! Ich habe bei Deinen Beschreibungen immer das Gefühl direkt daneben zu stehen. Es ist wie ein kleiner Ausflug zu einem anderen Ort und gleichzeitig in mich selbst, danke Dir und lieben Gruß, Angelika
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Oh, das freut mich sehr, Angelika! Danke für Deine Worte! Lieben Gruß zurück, Christine
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