Wohin es mich zieht

Mit dem Blick zur untergehenden Sonne sitze ich im Seiza vor meinem Schwert. Quer liegt es da; als Werkzeug, als Symbol, als Fokus. Wenn ich es nutzen möchte, sollte mich kein Wirrwarr in meinen Gedanken ablenken. Eine Verletzung braucht nicht immer einen Gegner; so versuche ich, achtsam zu sein. Natürlich könnte meine innere Stimme daher kommen und mich davon überzeugen wollen, das Schwert einfach liegen zu lassen. Wenn ich es nicht anfasse, dann kann mein Geist wandern, wie er will.

Doch Achtsamkeit schenkt. Sie schenkt mir Klarheit über Einzelnes und dies führt mich zu dem Eigentlichen, was immer dies sein mag. Vielleicht ist es ein Hineinspüren, gleich dem betrachtenden Erfühlen der Impulse innerhalb einer Technik.

Die Strahlen der abendlichen Wärme verfärbten die Landschaft mit ihrem Gelb-Orange, als ertasteten sie die Konturen eines Bildes, das sie vorfanden. Ich registrierte die Tatsache, dass dieser Schein ebenso auf meinem Gesicht zu finden wäre, wenn ich es betrachten könnte. Ich beließ ihn dort nicht, sondern schickte ihn weiter auf die vor mir liegende Waffe.

Da lag sie nun, für den Kampf gemacht. Ein Kampf besaß so viele Facetten: Feindseligkeit, Krieg, Macht und Schmerz, aber auch Veränderung, Schutz, Sicherheit und Kraft. Wo auch immer der Schwerpunkt lag, er brauchte einen Beginn, der im jeweiligen Menschen ruhte.

Aikido, mit oder ohne Waffe, möchte keinen Sieg. Es möchte verändern. Die dunklen Seiten eines Kampfes wandeln sich und mit diesem Wandel werden sie ihrer Existenz beraubt. Bei einem entgegenkommenden Impuls verlässt ein Aikidoka die Linie; ein Angriff verläuft im Nichts. Ist dies nicht möglich, wird die Kraft umgeleitet und mit dem eigenen Tun verbunden. Es ist dann kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander, das sich in Spiralen wiederfindet.

Vergleichbar mit einem Tanz wird etwas Schönes geteilt, das sich wiederum verändert: Es entsteht etwas viel Größeres. Im Grunde entzieht sich diese Tatsache jeglicher Logik. Doch es ist so. Es ist Harmonie, die ihren Ausdruck findet. Es ist Wohlklang, Ausgewogenheit oder Ebenmaß oder alles zusammen. Wir kennen es aus der Musik, wenn Töne unser Herz erreichen oder aus der Malerei, wenn Formen und Farben die Saiten unserer Seele berühren. Jeder fühlt sich umfangen und niemand wird davon ausgeschlossen.

Harmonie erreicht jeden und lässt niemanden zurück. Sie führt durch ihre Anziehung. Das ist „Ai“.

Gestern las ich:

Eine Welt ohne Krieg wäre kein dauerhafter Segen, bevor nicht alle fühlen könnten, dass der Frieden etwas Selbstständiges, Zuverlässiges ist, welches die Zivilisation durchdringt. Frieden muss mehr sein, als nur der Stillstand zwischen zwei Kriegen, Einigkeit muss mehr sein, als nur die Ruhe zwischen zwei Auseinandersetzungen. Stefan Stenudd in: Aikido, die friedliche Kampfkunst, Malmö, 2012, S. 92.

Ein beeindruckender Gedanke.