Wenn das Zentrum schimmert

Immer und immer wieder zerschnitt mein Bokken die noch kühle Luft. Doch meine Gedanken zerfransten mein Tun. Warum habe ich das eigentlich noch nicht miteinander in Verbindung gebracht? Wie konnte ich zwei unterschiedliche Dinge tun und ihre Gemeinsamkeit nicht erkennen? Seufzend hielt ich inne. Genauso könnte ich zwischen zwei Schienen stehen, links die eine und rechts die andere und irgendwann wunderte ich mich, wenn der Zug hinter mir seine Aufmerksamkeit forderte.

Meine Oberarme schmerzten; ein sicheres Zeichen für eine Anstrengung, die nicht sein sollte, jedenfalls nicht nach zehn Minuten. Wenn meine Schultermuskeln der Meinung waren, alles alleine machen zu müssen, dann schmerzten sie halt irgendwann; sich separieren besaß seinen Preis. Als ich auf diese Weise mit mir schimpfte, musste ich doch lachen. So manche Wahrheiten schienen übergreifend zu sein …

Meine Gedanken schweiften viel zu häufig ab! Eigentlich sollte ich überhaupt keine haben, während ich mit dem Bokken trainierte! Beim Meditieren klappte es doch auch. Natürlich kamen auch da die Gedanken, aber ich konnte sie weiter schicken, als gehörten sie gar nicht zu mir.

Nach einem Lockern der Muskeln begann ich erneut. Ich hörte förmlich unsere Aikido-Lehrer: Bewege dich aus dem Zentrum heraus! Wahrnehmung fokussiert das Gegenüber, sich selbst und das Tun; also alles in einem. Passend brach gerade die Sonne durch die Wolken, als wolle sie diesen Gedanken bestätigen.

Im Grunde war diese Einheit des Tuns ein bewegendes Versinken, als nähme man sich die Zeit zur Meditation, die das Ich fokussiert. Die absolute Krönung lag normalerweise dann darin, dies gemeinsam mit anderen auf der Matte zu tun. Oft zeigten sich zum Anfang des Trainings noch die Spuren des Tages in den Gesichtern, aber bereits eine halbe Stunde später, wusste jeder, warum er da war.

Trotzdem … ich konnte es nicht sein lassen. Noch ein Nachteil beim Solo-Training: Disziplin entwickelte sich ziemlich schnell zu einem Fremdwort. Meine Überlegungen ließen sich nicht verscheuchen.

Warum also nicht? Warum sollte ich gedanklich nicht etwas zusammenführen, was im Grunde das Gleiche bezeichnete? Die Energiezentren, die sich in und um den Körper befanden, waren auch als Chakren (indisch) oder Hvels (Altnordisch) bekannt. Übersetzt hieß beides jeweils „Rad“.

Einen Moment hielt ich inne und sah mein Schwert vor mir. Das Zentrum war tatsächlich wie ein Rad mit Achse, eine Achse als Ausgangspunkt für meine Aufmerksamkeit und auch mein Tun, das dann strahlenförmig seinen Verlauf nahm. Doch das war gar nicht der Punkt, an dem meine Gedanken hängen blieben. Meine Gedanken hingen an der Farbe Orange …

Denn Energiezentren waren mit bestimmten Farben verbunden. Farben besaßen Wirkung auf uns Menschen. Es gab sogar Farbtherapien, die näher darauf eingingen. Für die Stelle unterhalb unseres Bauchnabels besaß das zweite 2. Chakra und der Bauchhvel die Farbe Orange.

Orange ist die Farbe der Freude, der Geselligkeit; sie zeichnete sich durch eine anregende Wirkung aus und wurde in der Therapie zur Stärkung des Immunsystems und zur Aktivierung der körpereigenen Abwehrkräfte genutzt. Außerdem war es die Farbe der Kinder und aller, die sich vital und jugendlich fühlten.

Die Sonne schickte nun Wärme und ich genoss sie. Jetzt wusste ich, warum Aikido war, wie es war …

es war orange.