Klavierspielen mit Buchstaben

Irgendwie konnte ich es nicht vermeiden; mein Zwerchfell brannte ein wenig vor Aufregung. Mit dem Brandeisen in der Hand begann ich vorsichtig in das Eschenholz die Linien zu ziehen. Das Muster gab es so noch nicht, nirgendwo. Es gehörte mir allein und es besaß auch nur für mich seine Bedeutung. Mit dem Einbrennen sollte es Wirkkraft entfalten, auch nur für mich allein. Ich hätte es auch auf Papier malen können, aber im Moment liebte ich das Brennen.

Aber von vorn: Ich testete in meinem inneren Labor. Es war ein Ausloten, Probieren und Bereiche erforschen, die ich noch nicht kannte. Das Rad musste dabei nicht immer neu erfunden werden … deshalb nutzte ich altes Wissen. Unsagbar viele Dinge wurden schon vor Jahrhunderten umgesetzt. Heute sind wir viel weiter und können so manches gänzlich anders angehen. Das hieß aber auf keinen Fall, das altes Wissen nur Humbug sei! In meinen Augen schenkten die Erfahrungen unserer Ahnen einen Anfang. Es war dann wie ein Buch, das wir einfach weiterschrieben, in der Hoffnung, dem Eigentlichen immer etwas näher zu kommen.

So arbeitete ich mit Affirmationen. Als Inbegriff des Positiven konnten sie nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie waren eines der vielen Werkzeuge, die uns zur Verfügung standen, um unsere Energie zu verändern. Wir kreierten und modellierten uns selbst damit. Gleich Turbinen, die mit Windkraft oder Wasserkraft arbeiteten, konnten wir Menschen unseren Verstand nutzen, um Energie förmlich aus dem Nichts entstehen zu lassen. Farbe und Form unserer Gedanken veränderten sich damit schlagartig.  

Keine Frage, das war Manipulation! Doch wenn es mich dadurch auf Wege führte, die mir sonst nicht erreichbar waren, warum nicht? Von oben betrachtet entsprach es einem strategischen Vorgehen, wie in einer Folge von Indianer Jones, der auf die Flut warten musste, um den Zugang zu einer Schatzhöhle erklimmen zu können.

Jeder Mensch besaß tausend Wünsche oder Ziele für die eigene Weiterentwicklung, die wir mit uns trugen und intuitiv bereits in einer Reihenfolge nach Wichtigkeit sortiert hatten. Also gab es da die hundert Wichtigen und auch die zehn sehr Wichtigen und dann noch die fünf total Brennenden. Mit denen wollte ich arbeiten. Solch eine Wunschvorstellung ließ sich wie Teig kneten, verändern, verkürzen und schließlich in eine positive Kernaussage verpacken.

Diese bildeten Verbindungen zwischen uns selbst und der Welt. Das war bestes Brückenbau-Material! Ich wollte es mit beiden Händen ergreifen. Sternenstaub war genauso. Es zog im Sonnenlicht seine Kreise; doch ohne die Zutat des Himmelplaneten blieb er uns verborgen. Aber nur weil wir etwas nicht sahen, enthoben wir der Sache nicht die Existenz! Alles, was vorhanden war, besaß seinen Abdruck in der Welt und den wollte ich finden. Als Leitfaden hangelte ich mich am alten Wissen entlang.

Der Ausgangspunkt war etwas Positives; etwas, was sich in mir unverrückbar manifestieren sollte. Als Beispiel: „Ich bin gelassen“ und nicht: „Ich rege mich nicht auf“. So weit, so noch unkompliziert …

Dann ging es darum, die Aussage sozusagen zuzuschneiden: Die Wortfolge besaß Buchstaben, die einzeln gesehen doppelt und dreifach vorkamen. Nun veränderte ich diese Tatsache und strich die Doppelungen. So entstand „Ich bn gelas“, eine Ursuppe für die Kreativität.

Die Buchstaben werden kunstvoll miteinander verbunden, sodass es für das eigene Empfinden einfach wundervoll aussieht. So entsteht etwas, was mich erfreut und Freude stellt eine Verbindung dar.

Nun könnten natürlich diejenigen, die zu viel im Grimoire[1] gelesen haben, sagen: oh, das ist ja nicht ganz geheuer, davon lassen wir die Finger weg … das hätten die Menschen im Mittelalter meines Erachtens auch über Elektrizität gesagt. Das Gute ist überall und wenn wir ausschließlich das Positive in unser Tun legen, ist alles auf dem richtigen Weg, oder?

Nach dem alten Wissen sollte ich dann mein Kunstwerk vergessen, also den Inhalt, und es zu einem geeigneten Zeitpunkt verbrennen. Oha … Das war jetzt schwierig. Wie lange sollte ich denn warten? Wenn ich mit Leib und Seele ein Kunstwerk produzierte, dann vergaß ich doch nicht die Intention, die für mich dahinter stand! Das ging überhaupt nicht! Und zu guter Letzt, sollte ich das Ganze noch verbrennen! Ich produzier etwas Schönes und dann sollte ich es vernichten? Dafür hatte ich nur ein absolutes, felsenfestes „Nein!“

Na super, jetzt war ich fürs Zaubern nicht geeignet, weil ich nicht vergessen konnte und zudem nicht genug Zerstörungswillen besaß!

Trotzdem gefiel mir der Gedanke, eine mir wichtige Affirmation in etwas Schönes zu verwandeln. Schönes erfreute mein Herz, immer, wenn mein Blick daran hängen blieb! Vergleichbar mit einer Blume, die ich mir ins Zimmer stellte oder die gerade am Wegesrand aufblühte. Als ich mit dem Brenneisen das Holz bearbeitete, dachte ich darüber nach, warum die Vorgehensweise einmal als wichtig empfunden wurde.

War es ein Selbstschutz? Fühlten sich die Menschen damit schlecht, sich selbst zu manipulieren? Empfanden sie es als Eingriff in etwas nicht Naturgewolltes? Wenn ich vergessen hatte, was ich genau tat, entzog ich mich dadurch der Strafe einer höheren Stelle? Und wenn ich noch das Beweisstück verbrannte, gab es dann auch keinen Nachweis, egal für wen, selbst für mich nicht? Oder musste Magie versteckt werden, damit sie ihrem Wunderbaren nicht enthoben wurde? Konnte sie nur wirken, wenn sie für uns diffus und unerklärlich blieb?

Der letzte Rauch kräuselte sich von der Brennstelle. Zufrieden betrachtete ich mein Werk und freute mich. Es fühlte sich klasse an, etwas ganz allein für mich gefertigt zu haben. Es fühlte sich klasse an, weil ich wusste, dass mein Werk für mich eine Mitteilung besaß. Es fühlte sich klasse an, weil ich etwas mir Wichtiges manifestiert habe.

Schönes öffnet unser Herz und zog aus allen Richtungen für uns Energie heran! Sie gehörte uns ganz allein und erfüllte. Es war dann ein Schatz, den wir zu jeder Zeit verschenken durften.

War das nicht Zauberei in seiner wunderbarsten Form?


Es wird die Herstellung einer Sigille beschrieben. Sie ist eine Glyphe, eine visuelle Darstellung. Es ist ein zusammengesetztes Symbol, das in unserem Inneren etwas auslöst, das wir als wichtig erachten. Man baut eine Verbindung auf und manifestiert sie dann für sich selbst.

Wir haben alle Tasten, auf die wir reagieren. Ist es nicht cool, wenn wir die eigenen nicht nur kennen, sondern auch bewusst spielen, um von unserer ganz persönlichen Melodie getragen werden zu können?

Photo by Marcus dePaula on Unsplash

[1] Ein Zauberbuch mit magischem Wissen. Die Blütezeit lag zwischen dem Spätmittelalter und dem 18. Jahrhundert.