Wer entscheidet über hell oder dunkel? Wer gibt den Dingen einen Beigeschmack oder offenbart das Flirren von Magie? Wann möchte das Innerste am liebsten gehen oder doch mit aller Macht für unzählige Ewigkeiten bleiben? Den Anfang, egal von was, legen wir selbst; alles andere fügt sich.
Der Wind zeigte noch seine letzten Ausläufer des vergangenen Tages und mit meinem Hund an der Seite durchstreifte ich den Wald außerhalb jeglicher Wege. Meine Wanderschuhe standen bereits bis zum Knöchel im nassen matschigen Waldboden. Das machte nichts; ich würde auch weiter gehen, wenn meine Socken vor Nässe trieften. Alles konnte getrocknet werden, alles würde irgendwann wieder seinen Platz finden.
Mein Orientierungssinn war nicht gut, ich wusste es. Viel zu leicht drehte ich mich in Kreisen, die ich selber zog. Doch ich war nicht allein; Chapper führte mich notfalls.
Ein großer alter Baum lag quer und hatte mindestens drei andere beim Fallen verletzt. Die Spuren des gewaltigen Herabstürzens waren überall und ich konnte mir vorstellen, wie sehr die Erde gedröhnt und vibriert haben musste. Für einen Moment setzte ich mich auf den Stamm und rief meinen Hund, der weiter die Umgebung untersuchte. In seinen Augen trödelte ich zu sehr. Er drehte bei, kam die Hälfte des Weges und betrachtete mich abwartend. Hovawarte besaßen ihren eigenen Kopf, doch ich wollte mich nicht von ihm einschränken lassen. Also rief ich ihn nochmals. Er blieb wo er war, legte sich nieder und wartete. Er wollte nicht.
Seufzend nahm ich es hin und beschloss ihn einfach seinen Willen zu lassen. Wenn er meinte! Ich schaute in die Kronen, die schwankten und tausend Töne von sich gaben; sie kamen mir besonders laut vor. Es knarzte in unterschiedlichen Höhen, aus verschiedenen Richtungen; im Grunde war es hier erstaunlich laut. Dunkle Wolkenfetzen zogen durch die noch blattlosen Kronen und zeigten das Stürmische im Himmel, das sich immer wieder mit einer Böe bemerkbar machte.
Chapper beobachtete mich. Ich wusste, er passte nun auf, egal, wie lang ich hier sitzen würde. Mit den Händen auf der rauen Rinde schloss ich meine Augen und horchte. Der innere Blickwinkel zeigte den Wald hell und fast gleißend aus sich heraus, denn Leben strahlte. Das konnte jeder sehen, wenn man sich nicht skeptisch abwandte.
Irgendetwas war anders. Irgendetwas war hier! Ich öffnete meine Augen und schaute mich um. Was war hier anders, als im Rest des Waldes? Ich machte mir keine Sorgen um irgendwelche Menschen, die hätte ich gehört; Chapper so oder so. Immer wieder schaute ich nach oben. Der Wind vergriff sich in den nackten Kronen und zog sie in unterschiedliche Richtungen, als neigten sie ihre Köpfe nach unten, um mich besser sehen zu können.
Was machte hell oder dunkel aus? Wann bemerkten wir das eine oder andere? Manchmal fiel es mir schwer, mich von irgendwelchen alten Filmeindrücken zu distanzieren, die mit den Ängsten der Menschen spielten und uns manipulieren wollten. Das Helle zauberte uns ein Lächeln. Wir erkannten es sofort wie einen aufgeblühten Kirschbaum oder einen Regenbogen. Unsere Gefühle reagierten ohne Verzögerung. Das war mit den dunklen Dingen kein Stück anders. Sie überschatteten. Schatten verhüllten und zogen uns ins Ungewisse. Dies Undurchsichtige ließ sich nicht einschätzen und unsere Fantasie multiplizierte es dann, als wäre es Popcorn in der Mikrowelle. Ich war zu alt für solche inneren Spielchen. Säbelzahntiger gab es nicht mehr, also: I stand my ground!
Nur weil Dinge anders waren, waren sie deshalb nicht per se schlecht. Dunkelheit war dann ein Nicht-Sehen können und ließ lediglich die Option für die volle Bandbreite offen; das konnte unheimlich wirken. Es konnte eine intellektuelle Unsicherheit gegenüber Fremden und Unbekannten sein, es konnte aber auch das Vertraute zu einem Unvertrauten verändern oder es war etwas, das mich mit einem diffusen Nichts konfrontierte; dann bewegte ich mich nur noch wie ein loser Faden in einer fremden Welt …
Ich stellte mich inmitten des Windes und schloss meine Augen. Hier war ich! Also, wer warst du? Wind umschlang das Heiße meiner Handinnenflächen und die Zeit stand still. Ich fühlte es, es war gut, nur traurig. Ich drehte mich um und sah nun, warum mein Hund nicht näher kam und was mich irritierte:
Der Baum war im Sturm der Nacht gefallen; seine Wurzeln gab es nicht mehr. Es war eine von den vielen Eschen, die unter dem neuen eingeschleppten Bakterien leiden mussten. Sie besaß keine Wurzeln mehr, um sich den Unbilden des Windes entgegen zu stellen. Sie fiel und starb und ich war hier und hörte das Trauern um mich herum. Ein Freund wurde verabschiedet.
Es tat mir so leid. Nochmals strich ich über diese Rinde. Ich war unsensibel, halt ein Mensch mit Fehlern. Wir sahen so oft nur uns selbst, dabei waren wir verknüpft.
Das Leid der Welt war unser Leid … doch zu diesem Gedanken mussten wir noch finden.

.. dann bewegte ich mich nur noch wie ein loser Faden in einer fremden Welt …
.. Wir sahen so oft nur uns selbst, dabei waren wir verknüpft. …
FAZIT. Auch lose Fäden sind (locker) mit allem verknüpft. Eine wunderbare Erkenntnis!
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Ich bin davon überzeugt. Ob wir es sehen wollen oder nicht, ob wir die Nähe suchen oder Distanz halten, das Prinzip bleibt immer das Gleiche. Alles ist miteinander verbunden. Danke Dir für Deine Worte, Werner!
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wunderbar geschrieben, danke, dass ich lesen darf…
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Oh danke, Wolfgang! Ich freue mich darüber, dass du es lesen mochtest …
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Habe Dich entdeckt. Und das ist gut so. Herzliche Grüße Lore
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Hallo Lore! Ich freue mich sehr! Lieben Gruß, Christine
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