Das Wurschtelige mit meinen Händen kam nicht von ungefähr und ich kämpfte mit meinem selbst gemachten Knäuel. Warum konnte ich nicht das umsetzen, was mir bereits in den vergangenen Trainingsstunden als Prinzip klar war? Warum verstand ich meine Auswirkungen innerhalb der Technik nicht und damit auch nicht die Reaktion meines Angreifers? Warum wurden meine Bewegungen immer verschwommener und unklarer? Hatte ich denn überhaupt nichts gelernt?
Mit jeder weiteren Übung schien sich das Problem zu verschlimmern. Immer weniger ging mir von der Hand. Mein Angreifer stand wie eine Eiche im Raum und ließ sich überhaupt nicht mehr bewegen. Das Kippen des Schwerpunktes, das Nutzen von Impulsen, das Warten und Geduldigsein auf die kleinen Ewigkeiten innerhalb eines rechten Momentes, das Bleiben im Kontakt, all das gelang mir nicht.
Ich schob Frust … Wenn ich heute darüber nachdachte, musste ich lächeln. Denn ich schob oder besser gesagt, VERschob tatsächlich etwas. Meine Mitte! Irgendwann verhakten sich Gedanken des Tages und produzierten neue Gedanken, die mich davon schwemmten, als stünde ich auf durchspülten Sand.
Aikido ist Zentrums-Arbeit. Wie sollte ich mit etwas arbeiten, was ich für den Moment aufgab? „In der Mitte bleiben“, „das rechte Lot finden“ oder auch „nicht seinen Halt verlieren“, das waren gängige Beschreibungen für ein stabiles Zentrum. Es ist nichts, was wir als Ding anfassen können, wir merkten es nur als Gefühl und vermissten es schmerzlich bei Abwesenheit. Bewegte ich mich außerhalb meines Zentrums, dann lieferte ich mich einer inneren Zentrifugalkraft aus, die sich schließlich auch in einem Außen widerspiegelte.
Mit dem Unrunden im Sinn, dachte ich darüber nach, für mich das Training des Abends zu beenden. Doch Blickwinkel lassen sich verschieben oder umklappen, als betrachte das Innere etwas gänzlich Neues.
Denn ein Dojo war nicht nur ein Raum. Es war nicht nur die weichen Matten und es waren nicht nur die vielen Kleinigkeiten, die die Funktionalität garantierten. Ein Dojo wurde zum Dojo durch die Menschen, die dort lernten. Dies Lernen bedeutete aufnehmen und verankern in den Tiefen zwischen Kopf und Herz. Die Form des Miteinanders besaß eine große Bandbreite. Vor allem, wenn sich Menschen jede Woche sahen, dann traten die Eigenarten eines jeden immer mehr in den Vordergrund. Ecken und Kanten schliffen sich dadurch ab.
Das Aufflackern eines Lächelns konnte so im gegenseitigen Erkennen über die mitgebrachten Unebenheiten des Tages streichen. Es tat einfach gut. Ein winziges Versprechen erschien dann im Blickfeld: Schau, ich bin hier und du dort und wir beide versuchen das Beste daraus zu machen, was wir können. Wir beide lernen und helfen uns gegenseitig, um uns zu verbessern.
Es geschah so vieles im gemeinsamen Training, auch wenn Worte es kaum beschreiben konnten. Ein Trainingspartner offenbarte nicht nur das eigene Können oder Nicht-Können, sondern tippte ganz einfach mit seinem freundlichen Verhalten die Gedanken an und zog sie für uns an Ort und Stelle zurück.
Ein Kampf konnte nur auf eine Art gewonnen werden: ganz oder gar nicht!
Anm. z. Text: Im Schwerttraining gibt es Ki Ken Tai. Es ist ein Aikidoprinzip, das die Einheit von Geist (Ki), Schwert (Ken) und Körper (Tai) beim Ausführen von Bewegungen und Aikido-Techniken darstellt.
Gedanken, die unseren Geist in die Vergangenheit oder Zukunft ziehen, verlassen mit der Aufmerksamkeit unsere Mitte. Wir halbieren uns selbst.
Trainer: Matthias Lange, 5. Dan
Trainingsort: https://aikidozentrum.com/