Das Kreisen des Archimedes

Ich war aufgeregt. Das fühlte sich jetzt echt anders an! Irgendwie fanden sich das richtige Maß, die richtige Form, der richtige Schwerpunkt, die richtige Drehung, der richtige Winkel, das richtige Lot und eine gleichmäßige Bewegung zusammen. Später bekam ich es überhaupt nicht mehr so hin, aber das machte mir nichts. Ich hatte nicht nur den Effekt gesehen, sondern etwas für mich Neues entdeckt, was sich sozusagen aus dem Nichts kreierte.

Ich bin aufgeregt, weil sich mit dem Tun etwas zeigte. Einfach so! Unzählige Male probierte ich die Techniken bereits aus. Sie erschienen mir nun gänzlich neu, als stiege ich auf eine Treppenstufe, um überrascht festzustellen, dass die Aussicht eine andere war.

Wie sollte ich etwas beschreiben, was ich selbst noch nicht besonders gut umsetzen konnte? Immerhin wusste ich nun, DASS es da etwas gab! In meinen Augen war das ein guter Anfang, um eine Textur an irgendeinem Ende mit beiden Händen erfassen zu können und es dann Stück für Stück mit der Zeit zu entwirren oder innerhalb der verschlungenen Mechanismen greifbar werden zu lassen, also für den Kopf. Der Körper schien schon von ganz allein völlig im Bilde zu sein.

Die Vorübung konnte ich im ersten Moment überhaupt nicht einsortieren. Mit einem Schritt nach vorn sollte ich meinen Oberkörper ein wenig kippen, damit mein Arm der gleichen Seite lose herunter hing. Ohne Anspannung verursachte der Schritt eine Bewegung. Wie weit würde sich der Arm nach oben pendeln? Ab wann bräuchte er die Unterstützung des zweiten Armes, um ihn bis zur Decke strecken zu können? Inwieweit fand der Körper durch Flieh- und Anziehungskräfte seine Steuerung, ohne dass wir überhaupt einen Muskel bewegen müssen?

Wenn mein Gegenüber meine Hand ergreift, gab es viele Möglichkeiten. Pflückte ich die fremde Hand lediglich mit meiner freien ab, dann ließ sich das Ganze so weit umsetzen, dass mein Angreifer zu Boden gehen musste (Ikkyo Omote). Die Bewegung selbst lässt sich deutlich erkennbar kreiselnd und mit einer bestimmten Fußabfolge zwingend für mein Gegenüber mit entsprechenden Auswirkungen durchführen. Heute lag die Aufgabe in einer Verdichtung des Tuns.

Würde ich meine Bewegung in einem Trickfilm nachzeichnen wollen, ergäbe sich eine kegelförmige Raumspirale, die bei meinen Händen begann und seine größer werdende Ausrichtung auf das Zentrum meines Gegenübers richtete. Es ging nicht darum, die Spirale nur mit den eigenen Händen in den Raum hineinführen zu wollen. So würde sich nichts großartig bewegen, vor allem nicht, wenn mein Gegenüber ein Baum von Mann war.

Eine Verdichtung bedeutete, die gleichen Bewegungen nur ansatzweise auszuführen, jede Veränderung innerhalb des Raumes sollte verkürzt sein. Mit dieser Verkürzung sah der Blick nicht mehr das Eigentliche der Bewegung der Füße, der Hände oder Fingerspitzen. Plötzlich offenbarte das gesamte Tun den in sich wohnenden Rahmen: eine kegelförmige Raumspirale, die durch die Gliedmaßen und den Körper lediglich ihre Verdeutlichung fand.

Um sich dem überhaupt nähern zu können, wies unser Lehrer darauf hin, dass wir die Spirale als Bild in unseren Köpfen mit uns tragen sollten, damit jede, aber auch jede Bewegung, egal womit, ein Teil dessen sein konnte.

Und dann kam für mich das merkbar Andere: Es fühlte sich so an, als entstünde genau mit unseren Händen als Ausgangspunkt eine eigene Kraft, die mich auf ihren Weg fast mit sich zog. Es entsprach dem Gefühl des pendelnden Armes in der Vorübung, als würde von außen mit meinem Körper etwas geschehen, das ich durch mein äußeres Tun veranlasste. Ich gab sozusagen die Bedingungen, die etwas entstehen ließen. Mein Fokus wählte dann nur noch das Ziel, der Rest tat sich allein.

Vielleicht lassen sich die Dinge im Universum nie richtig definieren, vielleicht ist alles ganz anders. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ein gemeinsames Entdecken eine aufregende Grundlage ist, um Leben mit all dem Wunderbaren zu erfahren …


Anm. z. Titel: Die Archimedische Spirale sieht aus wie eine Lakritzschnecke. Zöge man diese schwebend auf, dann kommt man zu einer kegelförmigen Raumspirale, um die es hier geht. In Trickfilmen werden so auch die Power der Supermänner und Superfrauen dargestellt, um zu zeigen, dass dort etwas geschieht.