Kokoro oder der Raum mit tausend Türen

Wenn sich etwas Neues thematisch in den Weg stellte, weil es irgendwo innerhalb eines Buches zwischen den Seiten in Erscheinung trat oder sogar in einem Gespräch den Dialog füllte oder mit den Sinnen plötzlich erfasst wurde, dann musste eine kleine, aber konkrete Entscheidung getroffen werden: Will ich oder will ich nicht?

Ich wollte. Ich wollte dies Neue verstehen. So schreibe ich auf, was ich glaube zu erfassen. Gleich den Saugnäpfen eines Tentakels hefteten sich die Worte an die Bordwand des Eigentlichen. Mit ihrer Hilfe konnte ich mich am Rand hochziehen und meiner Vorstellung immerhin die äußere Form des Geheimnisses anbieten. Irgendwann wäre ich dann dem Überspringen der Hürde mächtig und könnte einem inneren Verständnis in die Augen blicken.

Wenn eine Technik für mich ganz allein in der Ausführung besonders gelungen erscheint und mein bisheriges Wissen darin ihren Ausdruck findet, dann bringt sich im Rückblick nicht nur jede einzelne Kleinigkeit in Erinnerung: Ich spüre das Zentrum meines Gegenübers, kann mich selbst darunter platzieren, überlasse seinem Impuls den äußeren Kräften und mein Körper schwingt schließlich in den spiraligen Energien, die mich zu einem Ergebnis führen, das ich mir wünsche. Genau an dieser Stelle sehe ich dann die Puzzlestücke passend ineinandergleiten und es eröffnet sich etwas gänzlich Neues. Das ist aufregend.

Vielleicht entsprach der Vorgang des Lernens und Aneignens einem Ping-Pong-Spiel, in dem jede Seite etwas geben musste, damit ein Verstehen möglich war. Die Welt gab mir einen Anschubser, ich mein Interesse; die Welt gab mir einen neuen Gedanken zum Weiterforschen und ich meine Ausdauer und letztendlich eröffnet sich eine innere Freude mit jeder ergänzenden Überlegung. Das ist Leben.

Fundamentales bahnt sich so seinen Weg zu uns Menschen. Vielleicht manchmal, ohne dass wir es merken, vielleicht nur ein klein wenig, aber mit einer besonderen Intensität. Wenn ich mit ganzem Herzen dabei war, schwangen meine Gedanken, meine Gefühle und meine Seele als eines. Alles andere existiert somit nicht mehr. Diese Einheit interessierte es nicht, wie groß oder klein der Anstoß zu diesem Empfinden begann, diese Einheit genoss einfach. Das ist allumfassend.

Ein Lernen und Erkennen eines vorher nicht Überschaubaren verursacht dann eine Veränderung dieser Einheit. Gleich einem Verschieben der Bausteine innerhalb eines Resonanz-Raumes, der unser Herz schwingen lässt, gerät das ganze System in größere Bewegung, als liefen Kreisel in einem geschlossenen Glas umher und erhöhten ihre Drehzahl. Wir selbst bemerkten dann dies innere Vibrieren, das sich schließlich in unserem Tun widerspiegelte. Das ist verinnerlichter Tanz.

Irgendwo da draußen, irgendwo im Inneren verbinden sich miteinander dünne Fäden, die immer schon existierten und ihren Ausdruck finden wollen. Jeder von uns besitzt sie, jeder kann sie sehen und empfinden, wir dürfen nur nicht aufgeben. Es ist alles da und wartet, bis wir mit einem sachten Streichen unserer Hand sie zum Leuchten bringen.


Anm. z. Titel: „Kokoro“ ist japanisch und bedeutet Herz, Geist, Seele und vieles mehr. In meinen Augen ist es kein Wort, es ist eher ein Konzept, das Vieles miteinander verpflechten lässt …

Anm. z. Text: Ich empfinde es als unglaublich schwer, im Aikido den Begrifflichkeiten nahezukommen, ohne selbst die japanische Sprache zu kennen oder ohne jemals in dem Land gewesen zu sein. Da mein Herz aber in Gänze dieser wundervollen Kampfkunst verfallen ist, möchte ich es verstehen. Es ist ein Wollen etwas zu umkreisen und sei es durch eigene Versuche gemixt mit den wenigen Jahren Trainingserfahrungen, mit gefundener Literatur und meinen eigenen Vorstellungen.

Solch ein Erfassen besitzt den Nachteil, dass es nie endgültig sein kann, vielleicht sollte es dies aber auch nicht. Schließlich ist Aikido nicht nur ein Sport oder ein Energieauffangbecken, sondern eine Philosophie, die mit den ausführenden Menschen wächst. Deshalb möge jeder Fortgeschrittene mir meine Versuche etwas Komplexes mit Worten umreißen zu wollen und damit zu verstehen mit Nachsicht betrachten.