Wenn das Flüstern hörbar wird …

Wenn wir Worte nutzen, dann erklären wir unsere Wirklichkeit. Buchstaben formen ein kleines Paket, in dem wir ein Teil unseres Selbst verstauen. Super verpackt überreichen wir dies lächelnd unserem Gegenüber und erhalten dafür das Gefühl, alles im Griff zu haben. So ruht der in unseren Zellen eingravierte Fluchtreflex, denn das in unserem Blickfeld Fokussierte scheint in einem Rahmen gezähmt und damit bekannt.

So bekam unser gradliniger Wahrnehmungstunnel ein Wortkleid, das sich sehen lassen konnte. Doch schauten wir darüber oder darunter? Was wir nicht bemerkten, enthoben wir einer Existenz. Wir hörten weder die hohen Schallwellen der Fledermäuse, noch spürten unsere Füße das durch magnetische Impulse verursachte Kribbeln der Erde. Wir nahmen nicht wahr oder wiesen das Unbekannte von uns, weil unsere Sinne es nicht erfassten.

Auch wenn wir Menschen so manches Mal dachten, wir seien das Herz des Universums: Es gab den Rest der Welt! Und er war absolut anders! Außerhalb unseres Seins galten andere Maßstäbe, andere Verbindungen und Gesetzmäßigkeiten. Selbst Zeit spielte dort mitunter nur eine Nebenrolle.

Verletzten wir unsere Hand, dann kam der Schmerz in Millisekunden an. Das war Aktion und Reaktion fast in einem. Vergnügte sich eine Raupe mit einem Blatt des Baumes, dann passierte das Gleiche, nur viel langsamer. Die elektronischen Impulse beamten sich auf dem Grün nicht von A nach B, sondern schafften ganz gemütlich einen Zentimeter in einer Minute.[1]Erst in einer Stunde präsentierte der Baum schließlich seine Reaktion, indem er Abwehrstoffe gegen diesen speziellen Parasiten in den Blättern einlagerte.

Mit dieser Geschwindigkeit wäre ein Baum ziemlich schnell seine kostbaren Blätter los, wenn er nicht ein anderes Kommunikationsmittel besäße. Um all seine Äste darüber zu informieren, dass gerade an einer Stelle ein kleiner Drache sein Unwesen trieb, warnte er seine oft ausladenden Äste mit Duftstoffen vor.

Das ist eine Sprache, die wir auch verstehen! Wie oft mochten wir jemanden nicht riechen. Derjenige konnte uns dann gestohlen bleiben, obwohl der arme Kerl uns nichts getan hatte. Oder wir fühlten uns magisch angezogen und verstanden es nicht einmal selbst, warum das so war. Es sind die Pheromone, die auch uns Menschen wie einen Magneten reagieren ließen.

Düfte als Kommunikationsmittel sind eine Sprache! Mit ihnen werden ebenso Informationen weitergegeben, damit ein anderer reagiert. Der Baum erkennt über den Speichel des Anknabberers, mit wem er es zu tun hat und schickt gezielt das Richtige in der Welt.[2]Duftstoffe warnen dann die eigenen Äste oder auch die nahestehenden Bäume um ihn herum oder ziehen die Fressfeinde an, die dann die Arbeit des Eliminierens übernehmen.

Bäume reden also anders. Das kennen wir! Dies Problem findet sich unter Menschen ständig. Doch sobald der Wille zur Kommunikation da ist, bewegen wir dann Himmel und Erde, um uns anzunähern. Wir wissen sogar, je größer die sprachlichen Unterschiede sind, umso größer ist die Entfernung innerhalb der Kultur, da die Wurzeln unterschiedliche Ausprägungen besaßen. Das bedeutet für uns aber nicht, dass unser Verstehen-Wollen es nicht schaffen könnte, genügend Brücken für ein Verständnis zu bauen.

Manchmal brauchten wir nur einen kleinen Steg zum anderen und manchmal reichte die Überseebrücke nicht, um den Horizont zu erreichen. Dennoch lag es in uns, nicht aufzugeben, wenn wir es wirklich wollten.

Vielleicht sollten wir den Gedanken nicht vergessen, wenn wir uns das nächste Mal an einen Baum lehnen:

Unsere Anwesenheit wird bemerkt, er kann uns riechen …


Anm. z. Bild: Photo by Victoria Palacios on Unsplash


[1] Peter Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume, Was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt, 39. Aufl., München, 2015, S. 15.

[2] Der stumme Schrei der Lima-Bohne, https://www.mpg.de/934657/W001_Biologie-Medizin_060_065.pdf, ein interessanter Bericht über Chemische Ökologie des Max-Plancks-Instituts.