Beim Frühstück auf der Dach-Terrasse des Hotels glitt mein Blick über die Häuser der Athener Innenstadt. Die morgendliche Sonne strich mit der kommenden Wärme des Tages durch die Luft und präsentierte am Horizont die Akropolis auf ihrem braunsandigen, steinernen Hügel, als wache sie über all die Menschen, die zu ihren Füßen Schutz und Nähe suchten. Im Grunde war dem so; seit fast 2500 Jahren. Doch … ich sah und sah doch nicht.
Ich betrachtete die oberen Stockwerke, das helle schmutzige Beige, das Abgeblätterte, das achtlos Liegengelassene, das unschön Zusammengewürfelte, das Provisorische, das auf seine Art ungeliebt Vergessene. Ich sah Stromleitungen, quer überallhin verlaufend. Ich sah die Sonnenkollektoren mit den Wasserbehältern und ihre Ausrichtung zur Sonne. Es passte zu den bunten Klecksereien der Sprüher an fast allen Hauswänden. Es passte zu den ehemals freien Plätzen unter den Straßenbäumen, die als Sammelplatz für die gestapelten schwarzen Müllsäcke dienten, obwohl auf der anderen Seite Tische zum Essen einluden. Doch … ich sah und sah doch nicht.
Marmor zog sich durch die Häusergassen, durch öffentliche Plätze, durch den Sand der Gärten oder bot sich als Bank zum Ausruhen. Ein Stein, der in der Sonne spiegelte, im Regen glänzte und leicht mit dem Messer einzuritzen war. Ich mochte den Marmor. Er gab mir die Wärme der Sonne, wenn der Wind schon abkühlte. So stand ich im Abendlicht, das den hellen Stein der Akropolis leicht rosa färbte und damit den blauen Himmel dunkler wirken ließ. Schwarze Eisengitter versperrten den Eingang zu den steinernen Stufen im Innern des alten, angrenzenden Theaters. Meine Gedanken verweilten in der Bühnenmitte bei den Männern vergangener Zeit mit ihren vornehmen Togen. Sie saßen auf den Rängen, diskutierten oder trugen vor. Doch … ich sah und sah doch nicht.
Als ich später auf der Rückbank im Taxi saß, um meinen Heimweg anzutreten, hielt ich mich etwas verkrampft am Seitengriff fest. Kreuz und quer verliefen die Straßen, hoch und runter, teilweise steil, als befände man sich an Berghängen. Das machte aber einem Einheimischen keine Sorgen. Das ließ sich auch locker mit achtzig bewältigen, schließlich gab es Bremsen. Ein Anfahren, ein Beschleunigen, ein ruckartiges Stehenbleiben mit dem leichten Gefühl des Schwebens, wenn Bodenwellen im Weg lagen, das schien ein normaler Fahrstil zu sein. Mir war schlecht und der Lautsprecher direkt an meinem Platz half mir, griechischen Weisen näher zu kommen, die so melancholisch auf mein Empfinden wirkten. Doch … ich sah und sah doch nicht.
Wenn ich meine Hände übereinanderlegte, erfasste ich beide mit einem Blick. Meine Augen betrachteten nur die Obere, aber die Untere fand trotzdem ihren Weg in mein Bewusstsein.
Etwas anderes war da, was immer wir sahen. …
Anm. z. Text:
One eye sees, the other feels. Paul Klee (1879-1940)
Am letzten Wochenende hatte ich das Gefühl, dass die Eindrücke einfach nicht zusammenpassten. Mein Sehen, entsprach nicht meinem Fühlen.
Drei Tage sah ich Menschen, die in Athen lebten und auf ihre Weise der modernen Zeit Herr werden wollten. Der Strom der Touristen brachte finanzielle Mittel, er schliff aber auch das eigentliche Leben gnadenlos ab. Alles Tun schien sich an diesem Ort auf Besucher auszurichten und lenkte dadurch den Blick nur auf das Offensichtliche und Vordergründige. Ich hatte das Gefühl, dass die hier lebenden Menschen förmlich überschwemmt wurden und es kaum vermochten, sich wieder aufzurichten.
Präsenz hatte nichts mit der Sichtbarkeit zu tun. Präsenz strahlte in den Menschen, in den Steinen, an den Orten, an dem tausend Seelen schon miteinander lachten und weinten. Wo immer es war, dies alles sprach zu uns, wenn unsere Fingerspitzen über fremde Welten strichen.
Es gab hier so viel mehr, das zu sehen sich lohnte … und das war zeitlos, als läge die Vergangenheit unter der Gegenwart und wirkte durch alles hindurch, um uns zu erreichen.
Das andere Athen: wunderschön, farbenfroh und nach Blüten duftend!

Gott sei dank, wird an manchen Stellen noch das Farbenfrohe gelebt! Sichtlich hatte Paul Klee schon in seiner Zeit die gleichen Empfindungen. Hoffen wir, dass sich das Schöne noch lange erhält!
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Ich hoffe das auch! Nur wird es nicht von allein geschehen. Es muss daran gearbeitet werden, im Kleinem wie im Großen!
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