Gänzlich dem Tun verhaftet standen wir auf den grünen Matten im Schein der Lampen. Ein ruhiges Miteinander füllte den Raum. Jeder horchte in sich hinein, um das zu erfassen, wovon unser Trainer sprach.
Wenn ich das Handgelenk meines Gegenübers ergriff, dann wanderte dessen körperliche Präsenz in den eigenen Fokus. Da war sie nun und sollte sich nicht mehr verlieren. Leichter Druck an den Berührungspunkten verriet in einem Miteinander viel schneller die folgenden Schritte des anderen. Jede kommende Bewegung ließ sich dadurch erahnen. In einem starren Gegenüberstehen fiel es leicht, doch während eines Umhergehens entpuppte sich das Kontakt-Finden-und-Halten als eine wirkliche Herausforderung.
Es gab eine Zeit, da stand ich dem Prinzip sehr skeptisch gegenüber. Für die Bezeichnung „Kontakt“ fanden sich so viele Interpretationen! Welche davon beschrieb nun das, was in einem Kampf passierte? Was war denn dieser Kontakt, der mir nicht nur den Körper meines Gegenübers nah heranbrachte? Was gab es zu sehen, wenn ich mit dem Zentrum des anderen verbunden war? Merkte ich das überhaupt? Oder war dies Merken-Können ein Geschenk, das nicht jedem vergönnt war, je nach Sensibilität? Tausend Fragen stapelten sich für mich, als stünde ich auf einem hohen Wolkenkratzer umwoben von einem tief hängenden Himmel, der mir nur das sehr nahe offenbarte.
Nach unzähligen Übungsstunden zeigte sich für mich mehr. Nur mit einer völlig ungeteilten Aufmerksamkeit ließ sich das Kunststück vollbringen. Lag aber meine Konzentration lediglich bei mir selbst, weil ich meine eigenen Empfindungen erkunden wollte, dann vergaß ich mein Gegenüber. Ich ließ ihn unbeachtet stehen. Ich erfüllte vielleicht die Anforderungen eines leichten Drucks innerhalb der Berührung, doch im Grunde schnitt ich mich selbst von allem Übrigen ab. So beantworteten sich ein paar Fragen, aber neue kamen hinzu.
Als ich heute auf der Matte stand, erinnerte ich mich an einen schönen Moment, der nur ein paar Stunden davor lag: Ich stand inmitten eines riesigen frisch gemähten Feldes, das den Blick weit zum Horizont erlaubte. Aufgrund des Wetters flogen unzählige Schwalben um mich herum; sie schwebten nur eine Handbreit über das Gras hinweg. Sie flogen schnell, in Schleifen und kunstvoll, als webten sie einen Teppich mit den Flügelspitzen. Trotz der unglaublichen Dichte zueinander umtänzelten sie jeden Entgegenkommenden und ihr Vergnügen im Tun des Miteinanders zeigte sich überdeutlich. Sie verloren sich nicht, sie suchten und fanden!
Ich stand auf der Matte und hielt wieder das Handgelenk meines Gegenübers. Die unzähligen Fragen waren immer noch da. Wahrscheinlich bräuchte ich Jahrzehnte der Erfahrung, um dem Eigentlichen überhaupt näher zu kommen. Vielleicht rührte sich auch nur der Wunsch, etwas erklären zu wollen, was das bloße Auge nicht erkannte. „Kontakt“ schien etwas zu sein, was mich in die Weiten eines Raumes führte, der im Offensichtlichen nicht existierte. Doch dieser Raum war keine Sackgasse in die ich einfach hineinblickte und dann wieder ging. Im Grunde war es überhaupt kein „Raum“, sondern eher ein Aufzeigen eines Netzes, das spürbar wurde. Unser Bewusstsein webte sich von ganz allein darin ein.
Gleich einer von allen Seiten anfahrbare Bushaltestelle zeigte sich das Zentrum des Gegenübers nicht als ein Endpunkt. Es war integriert in einem unfassbar riesigen Plan, dessen Zugang unsere Aufmerksamkeit nun betrat. Die Wege lagen alle da. Es oblag nun uns selbst, sie zu gehen.
Ich konnte das Vergnügen der Schwalben verstehen. Schnitzeljagd war in der Gruppe am schönsten!
Trainer: Matthias Lange, 5. Dan
Trainingsort: https://aikidozentrum.com/
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Anm. z. Titel:
Matrix im Sinne von einem uns umgebenden Feld
Anm. z. Titelbild:
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