Wenn meine Fußsohlen die Matten berührten, federte das Weiche. Ein konstantes Gefühl bis zum Verlassen der Unterlage. Es war aber nicht nur ein taktiles Empfinden, das ich bewusst wahrnahm oder nicht. Ungefragt und folgegleich schaltete sich der Kopf ein, um mich in die passende Gedankenwelt zu entführen: Vergangene Bilder von Trainingsstunden, Seminaren, Bekanntschaften und Begebenheiten zeigten sich wie in einem Kaleidoskop. Nicht alle, sondern etwas vom Geist Vorsortiertes.
Dies Voraneilen, das Annehmen von Bedingungen aus der Vergangenheit und dies Überstülpen auf ein Jetzt scheint dem Menschen innezuwohnen. Schließlich war dies unser Weg etwas zu lernen. Warum war es aber so schwer, es den Füßen gleichzutun und nur das Empfinden des Momentes als solches zu registrieren? Dauernd preschten Überlegungen voraus, als wären sie wilde Pferde mit dem Blick zum offenen Tor.
Ein Impuls von meinem Gegenüber holte mich aus meinen Gedanken. Ein seitlicher Schlag zu meinem Jochbein konfrontierte mich mit meiner Aufgabe und verschob meinen Fokus wieder zu meinem Trainingspartner, wo er auch sein sollte. Manchmal erschien mir die Kampfkunst als eines der vielen Verbindungsstücke zwischen meinem Kopf und der Welt um mich herum. Das Außen kam auf mich zu und ich selbst konzentrierte mich auf das, was kam.
Techniken bestanden aus mehreren Elementen: einem Aufnehmen des Impulses, einem Hinführen des Angreifers zu einer Lücke im System, die Lücke nutzen und einem zu Boden führen. Dieser Weg ließ sich als Einheit betrachten, gleich einer linearen Kohlenstoffkette. Wenn also ein seitlicher Schlag kam, würde mein Körper sofort die passende Aufnahme mit ihrer Umsetzung im Sinn haben. Meine Gedanken eilten dann dem nächsten Moment voraus. Die Kette war abgespeichert und nicht die einzelnen Elemente.
Ketten besaßen aber auch die Eigenart des Einengens, des Festlegens und manchmal zu wenig Kreativem. Ähnlich einem selbst gebauten Jägerzaun, der links und rechts den Weg vorgab. Außerdem besaßen sie den Nachteil, dass unzählige Technik-Ketten, die identisch begangen, aber anders endeten, gelernt werden mussten. Etwas fühlte sich fast gleich an und entwickelte sich doch anders in der Ausführung. So etwas war schwierig zu lernen. Wenn dann die japanische Bezeichnung bei einer Prüfung abgefragt wurde, zeigte sich automatisch sehr wohl das Muster der Technik im inneren Bild, aber wie war nochmal der Eingang, um dahin zu gelangen?
Natürlich besaßen diese Ketten auch ihr Positives: Sie gaben Sicherheit. Vollends verstanden und reproduzierbar fühlte sich die Umsetzung ziemlich gut an. Ich konnte einem äußeren Impuls etwas Sinnvolles entgegenbringen. Lag dann aber nicht der Schwerpunkt auf meine innere Zufriedenheit? Wie viel hatte dann mein Tun noch mit meinem Gegenüber zu tun? Wurde er damit nicht nur zum Werkzeug? Das war dann wohl die Sache mit den Medaillen und den zwei Seiten …
Um diesem vorgefassten Weg entgegenzuwirken, um sich von einem inneren System zu lösen, lag das Augenmerk unseres Lehrers auf die Umsetzungen des ersten Elementes einer Technik-Kette: dem Eingang.
Egal, wie mein Angreifer kam, ob er mich am Handgelenk erfasste, mich mit seiner Faust im Gesicht oder Bauch treffen wollte oder mich am Kragen erwischte, egal, wie dieser kam, irgendwie musste ich mich so positionieren, dass die Chancen für ein wohlwollendes Beenden sich schlagartig für mich erhöhten. Wo sollte ich am besten stehen? Was war dem Angreifer noch möglich? Hatte ich bis hierhin dem Angriff die Schärfe nehmen können?
Von außen betrachtet veränderte sich überhaupt nichts. Nur von innen. Wenn das Augenmerk erst einmal darauf lag, dem Kommenden entgegenzublicken und sich selbst in die beste Position zu führen, dann entstand ein neues Feld. Ein Freiraum öffnete sich, da die Gedanken nicht sofort mit dem eigenen kommenden Tun verbunden waren. Der Wunsch, die eigene Ausgangsposition erst einmal zu optimieren, verknüpfte mich sogleich mit meinem Gegenüber, mit dessen Handeln. Ich war nah bei ihm und nicht gedanklich schon viel weiter!
Mein Innen veränderte das Außen und das Außen veränderte mein Innen.
So fühlt sich Aikido an …
Trainer: Matthias Lange, 5. Dan
Trainingsort: https://aikidozentrum.com/