Alles machbar, oder?

Geht’s noch? Was für eine Ignoranz! Ärgerlich tastete ich an meinem Ellbogen herum. Die Muskelansätze fühlten sich nicht so super an; die Beschreibung „überanstrengt“ entsprach noch einer positiven Betrachtung der Sachlage. Warum musste ich das immer übertreiben? Ohne darüber nachzudenken arbeitete ich einen Abend lang an der Verschönerung meiner Lernkarten und schraffierte mit Buntstiften was das Zeug hielt. Zufrieden betrachtete ich mein auf dem Tisch gestapeltes Ergebnis. Wenn ich sie zum Lernen in die Hand nahm, freute ich mich richtig darüber; doch die Rechnung blieb nicht aus.

Naja, vielleicht lag es auch daran, dass ich einen Tag später nicht auf meine Schwertstunde verzichten wollte und der nicht ganz so leichte Bokken mit Rechts geführt wurde; eigentlich war ich  daran gewöhnt…

Mit einer Tasse Kaffee in meiner linken Hand, die rechte brauchte eindeutig Ruhe, schaute ich aus dem Fenster in den Garten.

Naja, vielleicht lag es auch am Streichen mit der großen Maler-Quaste vor zwei Tagen. Ich hatte versprochen einer Freundin zu helfen; versprochen ist halt versprochen. Gemeinsam zauberten wir ihre Wohnung in ein schickes Grün-Gelb und so mancher Farbspritzer fand sich immer noch in meinen Haaren. Mit überlauter Musik und viel zu viel Eiscreme und Pizza hatten wir unseren Spaß. Daran zurückdenkend nahm ich grinsend einen Schluck vom heißen Gebräu.

Autsch! Erschrocken wechselte ich schnell meine Tasse wieder in die linke Hand; völlig im Gedanken hatte ich das gute Stück unbemerkt auf die gewohnte Seite genommen. Mit zusammen gekniffenen Augen betrachtete ich den hinteren Teil meines Gartens. Gestern versetzte ich dort lautstark schimpfend einige Stauden. Der Boden beinhaltete unglaublich viele Feuersteine; eine Arbeit wie in einem Steinbruch! Mein Nachbar rief sogar lachend herüber, dass er mich zwar durch die hohe Hecke nicht sehen konnte, aber ganz gewiss hören…

Seufzend setzte ich mich an den Rechner. Wenigsten nahm mir mein Unterarm nicht das Schreiben übel. Einen kleinen Moment verharrte ich. Was würde ich dann tun? Etwas erschrocken strich ich über meinen Arm. Nicht-schreiben war wie Nicht-essen oder Nicht-gehen oder Nicht-lachen oder Nicht-träumen…Ich schüttelte meinen Kopf, das wollte ich mir nicht vorstellen.

Täglich erwartete ich von meinem Körper, dass er funktionierte. Einfach so. Was gab ich dafür? Nun gut. Ich verzichtete auf Fleisch … ja, aber doch eigentlich nur, weil mein Kopf nicht mit der Tierhaltung und Tötung zurechtkam. Ich trank reichlich Wasser über Tag … ja, aber nur, weil ich nicht verschrumpeln wollte. Ich aß kaum Süßigkeiten … ja, aber nur, damit ich noch in meine Lieblingsjeans passte. Die Liste ließ sich ohne weiteres verlängern. Tat ich irgendetwas, um meinem Körper etwas Gutes zu schenken, weil er mich schon so lange und ausdauernd durch mein Leben begleitete? Achtete ich wirklich auf seine Signale? Hörte ich überhaupt hin?

Wie sehr war es mir eine „Selbstverständlichkeit“, dass mein Körper funktionierte! Was sagte das überhaupt? Kam das „-verständ-„ vom Verstehen oder dem Verstand? Wenn ich aber etwas verstehe, dann sollte ich mir doch dessen bewusst sein! Dies hieße doch aber auch, dass etwas meiner Überzeugung entsprang und ich es bewusst vertrat, oder? Und wenn ich ganz ehrlich war, versah mein Verstand diese „Selbstverständlichkeit“ mit dem Synonym „Fahrlässigkeit“! Da konnte ich doch gleich als Bootsfahrerin ein Loch in die Holzwand schlagen und dann ganz erstaunt darüber sein, dass das Ding, dann doch nicht so selbstverständlich schwamm, wie ich es mir vorstellte!

Am Gruseligsten war aber auch im Grunde das „Selbst-„! Niemand anderen konnte ich für diese fehlende Rücksicht die Schuld geben! Ohne Not verminderte ich meine Möglichkeiten; nahm mir sozusagen die Butter vom Brot.

Seufzend klappte ich meinen Laptop zusammen. Achtsamkeit galt nicht nur anderen gegenüber. Es erinnert ein wenig an die nette Fluganweisung der Stewardess, die vor dem Flug betonte, dass die Atemschutzmasken erst bei sich selbst angelegt werden mussten, bevor wir jemand anderen halfen.

So egoistisch es sich anhörte, so logisch ergab sich daraus die Schlussfolgerung: Wenn wir nicht auf uns selbst achteten, dann waren wir vielleicht irgendwann nicht mehr in der Lage autark durch die Welt zu wandern! Jegliche Unabhängigkeit, jedes Entscheiden und jede noch so verrückte Freizeitaktion bekäme Zäune gesetzt, deren Latten ich selbst im Baumarkt besorgt hatte!

Wollte ich das wirklich?

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Anm. z. Titelbild: Photo by Tim Mossholder on Unsplash