Wie innen, so außen…

Links von mir, neben den bereits ein wenig eingeschrumpelten Zierkürbissen vor meiner Tür,  stand mein noch dampfender Becher Kaffee. Die kleinen aufsteigenden Wölkchen des heißen Gebräus konnten fast senkrecht zum Himmel entschwinden; der Wind schien irgendwo anders zu wehen. Ich saß auf den Treppen. Mit Jeans, Pulli und Jacke bewaffnet, machte mir die Kühle nichts aus. Naja, was heißt Kühle? Ende Dezember könnte ich hier eigentlich bibbernd sitzen und dem Schneetreiben zusehen. Aber nein, die Feiertage blieben trocken und heute stand der Hochnebel zwischen den kahlen Bäumen. Irgendwie skurril, unwirklich und doch wieder nicht, denn die Wirklichkeit hockte vor meinen Füßen und genoss das Gebürstet-werden.

Chapper hielt mir immer wieder die Körperseite hin, die er massiert haben wollte. Dieser Hunde-Wollknäuel trug in seinem Fell eine Menge Mitgebrachtes aus dem Wald, den wir gerade inmitten des Nebels erkundet hatten.

Automatisch bewegten sich meine Hände, um den Kletten und Verschmutzungen Herr zu werden, die sich gnadenlos im langen Haar festhielten. Ein Teil meiner Konzentration umfasste das, was ich tat, der andere Teil verlor sich in dem Moment, um den Kaffee und die Ruhe zu genießen.

In manchen Bundesländern nannte der Volksmund die Tage nach Weihnachten „zwischen den Jahren“. Natürlich war hier ein Zeitraum, also die letzte Woche im Jahr gemeint[1], doch mein Gefühl zog mich in dieser Zeit viel weiter darüber hinaus. Diese Tage besaßen etwas völlig Andersartiges. Ich konnte es nicht erklären, nur in seinen Auswirkungen beschreiben.

Egal was ich tat, die Zeit schien sich als ein belangloses Instrument nicht in einem fortlaufenden Modus zu befinden, sondern eher auf einem vertikalen Weg im Nichts zu verpuffen. Sie entsprach einer Tür zu einem offenen Raum, als stünde ich zum Sonnenaufgang an einem rotbraunen Canyon mit einem Versprechen nach ganz viel. Ich musste lächeln. Rotbraun war gut, es entsprach der Fellfarbe meines Hundes, der gerade mit seiner Nase meine Hand anstupste, die tatenlos inne hielt.

Vielleicht „stupsten“ mich diese Tage zu dem Gefühl der Zeitlosigkeit ebenso an…Es schien sich das eigene unbegrenzte Sichtfeld der Gedanken noch einmal mehr auszuweiten. Tausend Visionen möglicher Dinge, möglicher Momente, seien sie gewünscht oder verwünscht, tummelten sich im inneren Raum. Ich konnte sie nicht ausblenden, denn sie besaßen einen direkten Zugang zu meiner Aufmerksamkeit. Gedankenbahnen zogen so in mein Bewusstsein, die mit jeder Wiederholung immer tiefer wurden, gleich den Trekspuren auf dem Santa Fe Trail, die dort noch heute zwischen den Gräsern zu sehen waren.

Durfte ein unerwünschter Gedanke überhaupt diesen Raum bekommen? Durfte dieser überhaupt seinen Weg in meinem Empfinden niederlegen? Nein, ganz bestimmt nicht! Mein Hund quickte etwas, weil ich vehement gerade an einer besonders hartnäckigen Verknotung seines Felles herumzog. Erschrocken tätschelte ich beruhigend seinen Kopf. Ein kurzes Schnaufen seinerseits wertete ich als ein „ok“. Trotzdem bearbeitete ich erneut die gleiche Stelle, nun etwas vorsichtiger; wenn ich sie nicht entwirrte, würde sie in den nächsten Tagen kaum zu bewältigen sein. Es war dann egal, ob ich den Rest des Hundes glatt bügelte oder nicht; das Wissen um dies nicht bewältigte Stück Arbeit würde den hübschen Rest des Felles nicht einmal wahrnehmen lassen.

Hatten dann also nur die guten und schönen Gedanken meine Überlegungen zu bevölkern, damit sich nicht Störendes festsetzen konnte? Im Prinzip schon, doch…wenn ich etwas dachte, um von etwas anderem abzulenken, dann zeigte ich mit meiner Aufmerksamkeit genau dort hin, als stünde ich wie eine Feuerwehrfrau mit hocherhobenen, herumfuchtelnden Leuchtstangen auf einer vollen Kreuzung in der Innenstadt. In der Vermeidung lag ein direkter Verweis; gleich einem Astronauten-Fußabdruck auf Staub, der niemals verwehte…

Mein Hund starrte mich an. Ich starrte zurück. Was war nun schon wieder falsch? Er und ich, wir kannten uns sieben Jahre, so klappte das Nonverbale schon ganz gut. Aha, die Wasserschale war leer und er liebte das kühle Wasser von draußen, als gäbe es drinnen keines. Außerdem wollte er nicht mehr die Stelle seines Fellknotens zur Verfügung stellen, ich müsste nun schon aufstehen, um dort anzukommen.

Nun gut, dann nicht. Wasser gab es auch gleich drinnen, er hatte schließlich eben schon den ganzen Napf ausgetrunken. Wenn er nicht wollte, dann wollte ich auch nicht. Demonstrativ trank ich meinen restlichen Kaffee und begann wieder erneut an dem bereits recht ordentlichen Fell herum zu bürsten.

Wenn ich also das Schöne für sich allein betrachtete, nicht als Ablenkung, sondern direkt und ohne damit etwas anderes aus dem Weg schieben zu wollen, dann konnte es sich in meinem Inneren ausbreiten. Es verteilte das Funkelnde, das Einfangende, das überaus Selbstvergessende in meinen Empfindungen und manifestierte ebenso einen Weg, der immer tiefer seine Spuren zog; irgendwann könnte ich diese Bahn nicht mehr verlassen, weil der Rand zum Übrigen so hoch wäre, dass es besonderer Mühe bedeutete, es zu verändern. Außerdem, wollte ich das dann überhaupt?

So strich ich die Bürste über das bereits glatte Fell und näherte mich der Wuschel-Stelle. Immer wieder entzog ich dadurch dem undurchdringlichen Wust einzelne Haare, die sich anschmiegsam an den bereits fertigen Rest legten.

Begeistert betrachtete ich mein Werk. Geht doch! Ich legte die Bürste beiseite und mein Hund setzte sich so nah, dass seine Wärme mich wie ein Heizkissen umhüllte. Nun blickten wir beide in die Tage ohne Zeit und fanden es einfach toll.


Anm. z. Titel: In Anlehnung an eine Sequenz in der Tabula Smaragdina (smaragdene Tafel), deren Entstehungszeit schon ziemlich lange zurück liegt (die einen sagen es wäre das Mittelalter gewesen, andere gehen sogar in die alte Zeit der Ägypter zurück). Die Übersetzungen aus dem Lateinischen besagen etwas zusammengefasst: „Das was oben ist, entspricht dem was unten ist.“ Es gibt viele Deutungen. Für mich ist es ein Hinweis darauf, dass wir Menschen mit unserem Denken, mit dem was wir in unseren Köpfen erlauben existent zu sein, unsere Wege bestimmen. Der Mensch ist das, was er denkt.

[1] Ursprünglich waren die Tage zwischen dem 21. Dezember und dem 06. Januar gemeint (auch als „Rauhnächte“ oder „Zwölfnächte“ bezeichnet)