Triumvirat

Ich trat ohne Jacke in die kühle Nacht. Die Kälte der Luft überraschte mich doch ein wenig. Eben war mir noch vom Feuer des Kamins unendlich warm. Die gespeicherte Wärme in mir selbst suggerierte mir mehr Sommerliches als es der Herbst hier draußen wirklich geben konnte. Die Kälte sollte die umherschwirrenden Gedanken zur Ruhe bringen. Wenn ich fror, dann erstarrten auch meine Überlegungen, sie besaßen dann kaum noch Raum, um sich irgendwie zu bewegen.

Obwohl der Tag völlig verregnet seinen Lauf nahm, rissen heute Nacht die Wolken auf und zeigten mir den klaren Himmel. Nur das Gras hielt noch das Nasse des Tages. Sterne schauten auf mich herunter und nickten mir bestätigend zu: Wenn ein Teil meines Seins vor wenigen Stunden der Meinung war, mich so weit einschränken zu müssen, dass kein Raum mehr blieb, um das zu zeigen, was mir wichtig war, dann musste gerade dieser Teil nun damit leben, sich den Nordpol vorzustellen.

Körper und Geist standen sich heute Abend bildhaft gesehen in einer Arena gegenüber und versuchten jeweils mit allen Tricks die Oberhand zu gewinnen. Doch die Beiden übersahen mich, die Seele, die dazwischen hing; die fand das Ganze überhaupt nicht mehr witzig.

Was sollte ich sagen? Meine Gedanken gewannen und hielten meinen Körper in einem Klammergriff bis er verstummte und Gelerntes zerbrochen auf dem Boden lag. Die Unwucht in der Durchsetzungskraft störte mich; warum heute und warum nicht sonst auch? Ich konnte mit Genuss ein zweites Tortenstück essen, obwohl mein Kopf wusste, dass ich mindestens zwei weitere Runden ums Dorf laufen musste, um die Kalorien nicht auf meiner Hüfte landen zu lassen; hier gewann mein Körper. Ich konnte ohne weiteres mir das Ende einer Romanze im Open-Air-Kino ansehen, obwohl es wie aus Eimern goss. Ich wollte das Happy End nicht missen. Wer wusste schon, ob das Paar sich wirklich auf immer und ewig versprach? Meine romantische Seele gab hier nicht nach. Heute Abend war es halt mein Kopf, der alles Übrige blockierte; also, was regte ich mich eigentlich auf? Hier schien eine Ausgeglichenheit vorzuliegen.

Warum schränkten meine Gedanken den Körper so weit ein, dass selbst die Dinge, die ich schon geglaubt hatte zu können, sich nicht mehr an die Oberfläche trauten? Natürlich könnte der unbedarfte Betrachter sagen, dass das Lernen dann doch noch nicht so weit fortgeschritten war, um die Umstände zu ignorieren, so etwas passierte in Prüfungen. Doch bei diesem Gedanken stimmte das Maß der Dinge nicht: Wer sagte mir, dass ein Unterlegen eine Aussage über eine Schwäche traf? Vielleicht sagte es auch nur, dass etwas noch Stärkeres gewonnen hatte?

Warum nahm ich selbst diese Tatsache nicht einfach gelassen und schickte all die unnützen Gedanken in die Weite, die gerade all die Offenheit schenkte, um den Verwirbelungen meines Kopfes ein offenes Ende zu bieten?

Ich stand im Dunkel unter dem Sternenhimmel und erhoffte mir irgendeine Antwort. Eine Sternschnuppe löste sich in der Nähe des Großen Wagens. Ich schaute ihr hinterher. Wie gern hätte ich mich an ihrem Glitzern festgehalten, um von dort oben die Erde betrachten zu können. Das Gesamte würde sich so viel einfacher erkennen lassen. Meine Gedanken stockten. Bestand „das Gesamte“ nicht aus vielen einzelnen Teilen? Musste ich diese nicht erst verstehen, um dem Großen und Ganzen irgendwie näher zu kommen?

Wenn ich die einzelnen Dinge wirklich wahrnahm, dann ergriff ich die Welt mit beiden Händen und eignete sie mir an. So sollte es sein und so war es gedacht; doch der Weg erschien mir unendlich lang. Kurz wäre wahrscheinlich langweilig. Irgendwo war hier eine Komik versteckt, denn der Gedanke entlockte mir unter dem Himmel ein Lächeln.

Als ich die letzten Funken der Sternschnuppe verglühen sah, als das Schöne im Schönen versank, erkannte ich den Unterschied: Der Genuss der Torte versprach mir Vergnügen, das Happy End versprach mir gefühlte Romantik, doch die Präsenz störender Gedanken versperrten mir den Wunsch, Gelerntes mit meinem Körper wiederzugeben. Ein Klassiker: Gut gegen Böse und beides gehörte zu mir.

Nichts ließ sich hören, nur leichtes Rascheln der Nachttiere. Warum waren die Menschen so selten in der Nacht draußen? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grunde: Der stärkste Teil in uns selbst war der Meinung, dass es nicht gut für uns sei; zack und schon handelten wir danach. Ich wollte das nicht mehr. Ich mochte nicht überstimmt werden und wollte auch nicht entgegen meinem Inneren etwas tun, was ich eigentlich nicht bejahte.

Schließlich sollte die Entscheidung über mein Handeln immer nur mir selbst obliegen und damit meinte ich jeden Teil in mir, ohne Ausnahme. Streitigkeiten waren hier nicht akzeptabel. Die ausgehandelte Summe sollte immer ein Wohlempfinden bei mir selbst auslösen.

Wen interessierte es nun, dass meine Füße Eisklötze waren und mich die Gänsehaut am ganzen Körper erfasste, ohne dass ich es schön fand? Niemanden. Ich hatte meinen Willen, also ging es nun nach intensiver Klärung mit mir selbst wieder zurück ins Haus. Die Wärme des Kamins hielt sich immer noch in den Wänden und ich fühlte mich in meiner Gegenwehr einfach in den Arm genommen. Nun wusste ich es.

Nicht mein Körper, nicht mein Geist und nicht die Umstände sollten mich bestimmen. Es gab nur einen Teil in mir, dem ich folgen mochte, denn es schloss jede Facette meines Seins in einem zusammen:

Meinem Herzen.