Lieber Unbekannter,

ich schreibe Dir heute, weil Du meine Worte nicht hören wolltest und mir sehr deutlich zu verstehen gabst, dass eine Kommunikation von Deiner Seite nicht gewünscht war. Natürlich könnte ich im schweigenden Nirwana verbleiben. Natürlich könnte ich so tun, als hättest Du mich nicht verwirrt und natürlich habe ich keine Ahnung, ob Du diese Zeilen überhaupt jemals lesen wirst. Trotz alledem gebe ich nicht auf, denn wer gegen seine Überzeugungen handelt, behält stetig eine unbeantwortete Frage in sich und wer will das schon?

Menschen leben miteinander, Menschen arbeiten miteinander und Menschen verbringen ihre Freizeit miteinander. Egal was sie tun, es gibt immer ein Zusammen, selbst wenn es schweigend, selbst wenn es abgewandt oder sogar blind vonstattengeht. Unser Körper und unser Geist sind keine abgegrenzten Festungen, die manchmal die Zugbrücke herunter lassen oder nicht. Denn Gesten, Gesichtszüge oder auch die Körperhaltung sind sprechende Bücher und geben eine Information an das Gegenüber…

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So begann ein Brief, den ich direkt nach einem gemeinsamen Abend mit anderen schrieb.

Im normalen Miteinander bemühte sich in der Regel jeder, freundlich und offen seinem Gegenüber zu begegnen. Reagierte der Andere ungewohnt verschlossen oder missmutig, dann schien etwas nicht in Ordnung zu sein. So war es nicht wirklich ungewöhnlich, wenn die Nachfrage kam, ob etwas nicht stimmte. Schließlich gab es Tage, die einen völlig fertig machten und die Welt als einen ungewünschten Ort erscheinen ließen.

Hinterließ das allgemeine Verhalten den Eindruck, dass die Nachfrage die Situation verschlimmerte, dann konnte das schon irritieren. Es half auch nicht wirklich, dass die spätere Bitte um ein Gespräch schroff mit einem „Nein“ und einem zugewandten Rücken beantwortet wurde. Nun gut, das war mit Sicherheit eine deutliche Aussage. Die anschließende Erklärung, dass Kommunikation darauf beruhe, dass sie von beiden Seiten gewollt sein muss, half mir mit Sicherheit, mich genau an diesem Punkt zu verabschieden.

Das Rad musste nicht immer neu erfunden werden. So fiel mir Lessings Bemühen ein, mehr Toleranz zu fordern, einen kritischen Geist zu nutzen und auch die Facetten der Wahrheit von allen Seiten zu betrachten. Es war zur damaligen Zeit ein Streben nach Freiheit für den Einzelnen, der stark in den religiösen und moralischen Grenzen gebunden war. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Wäre es nicht an der Zeit, dies Wissen unserer Vorfahren in das eigene Verhalten und Empfinden einfließen zu lassen?Leben und leben lassen.

Friedrich von Schiller (1759-1805)

Ich hatte mir die Freiheit genommen, jemanden anzusprechen. Der Andere hatte sich die Freiheit genommen, auf seine Art und Weise darauf zu antworten. Solange Gewalt keine Rolle spielte, war die Freiheit des einen nicht mehr oder weniger wert, als die des anderen. Meine Ideal-Vorstellung eines freundlichen und aufgeschlossenen Miteinanders entsprach ganz bestimmt nicht dem Maß aller Dinge, denn dieses lag immer im Auge des Betrachters.

So saß ich bei meiner Tasse Kaffee und formulierte meinen Brief neu:

Lieber Unbekannter,

danke für die gestellte Aufgabe.

Viele Grüße

Christine