Unsere Hände vollbringen tausend verschiedene Dinge. Mit ihnen „begreifen“ wir die Welt und sie stellen die notwendige Verbindung zu all den uns umgebenden Sachen dar. Das Wort „Hand“ verknüpfen wir gedanklich mit Tatkraft und Zielgerichtetheit. So besitzt die deutsche Sprache unendlich viele Metaphern, die darauf abzielen, etwas auszudrücken, was die bloßen Worte für sich alleine nicht widerspiegeln: „Die rechte Hand des Chefs sein“, „Das hat Hand und Fuß“, „Ich weiß etwas aus erster Hand“ oder „das Glück mit den Händen greifen“, es gibt unendlich viele mehr.
Jeden Tag bewirken wir etwas mit unseren Händen, manchmal ist es gut und manchmal ist es nicht gut und manchmal kann eine Sache immer wieder gleich ausgeführt werden, doch das Ergebnis oder das zugrunde liegende Ziel unterscheidet sich: So kann mein Händeschütteln jemanden begrüßen, einen Kaufvertrag gültig werden lassen, einen Krieg beenden oder als subtile Bedrohung durch das Eintreten in den persönlichen Bereich verstanden werden. Die Möglichkeiten im Leben übersteigen mitunter die eigene Fantasie.
Diese Vielfalt der „Hand-habung“ findet sich im Aikido wieder. Ein Aikidoka setzt seine Hände gleich einem Schwert zum Schlagen, Stoßen, Schneiden und Führen seines Gegners ein. So wird der leicht bogenförmig geführte Arm vom Ellbogen bis zum kleinen Finger[1] auch „Schwerthand“ genannt. Unsere Hände sind empfindsam, deshalb käme ein Aikidoka nicht auf die Idee, sich mit einem direkten Parieren zu verteidigen. Vielmehr begleitet der Ausführende die ihm entgegengebrachte Kraft, ergänzt sie mit der eigenen und leitet sie letztendlich in seinem Sinne um.
Diese Handhabung ist ein komplexes Element, die einen Teil der Techniken darstellt. Es ist sozusagen ein Baustein von mehreren, um dem Körper des Gegners die Gewalt zu nehmen. Ein Betrachter sieht aber nur das Augenscheinliche: Eine Hand kommt der Gewalt entgegen und begleitet sie.
Aikido ist eine umfangreiche friedvolle Kampfkunst: Der „von Leidenschaft Getragene“ findet hier unendliche Tiefen; „der Nutzer“ einer Technik weiß sich zu verteidigen. Zwischen diesen Endpunkten gibt es eine Menge Spielräume. Wie tief sich ein Aikidoka mit dieser Philosophie auseinandersetzen möchte, entscheidet er ganz allein. Diese Entscheidung ist immer richtig, denn sie ist passend für den Einzelnen.
In meinem ersten Aikido-Jahr dachte ich, die Haltung der Schwerthand bereite lediglich den Boden für den nächsten Schritt in der Ausführung. Natürlich hörte ich die Worte meines Trainers, doch sie waren kaum vorstellbar. Irgendwann, als ich mit Fortgeschrittenen trainierte, eröffnete sich für mich eine Tür der Erkenntnis, in dem ich den Zusammenhang zwischen Handhabung und Ergebnis als Angreiferin am eigenen Leibe erkannte und im wirklichen Sinne spürte. Allein schon in der einen Sekunde, in der mein Gegenüber seine Hände auf eine ganz bestimmte Weise einsetzte, konnte ich vorhersagen, ob mich die Verteidigung im nächsten Augenblick der Matte schnell und kurz entgegenbrachte oder nicht. Ich sah kein bloßes Ausführen einer Tätigkeit, sondern ein leichtes Anschmiegen an meine zugreifende Hand, ganz vorsichtig, ohne Harm. Das Ergebnis ähnelte dann eher einem plötzlichen Gewitter.
Mit diesem Wissen probierte ich mich nun mit einer neuen Intention von der anderen Seite als Verteidigerin, doch einfach war anders. Es klappte nicht; mir fehlte die Intensität. Warum konnte ich es nicht so umsetzen, wie ich es selbst als Angreiferin bei meinem Trainingspartner sah? Die Antwort war im Grunde einfach: Nicht immer zeigte sich dem Auge die Qualität eines Werkzeuges. Die bloße Nachahmung setzte kleine Lichter, die den Weg wiesen, mehr auch nicht.
Erfahrene Lehrer verweisen immer wieder auf Einzelheiten, die erst in einem Zusammenspiel den gewünschten Effekt hervorrufen; ein Puzzleteil machte nicht das Bild. So bedurfte das Element der Schwerthand die Umsetzung variabler Faktoren, die für den unglaublichen Effekt notwendig waren.
Wenn noch die Jahrzehnte der Erfahrung fehlen, dann ist das Aufnehmen irgendeines losen Fadens das richtige Prinzip. Der Lernende hangelt sich von Frage zu Frage und ich glaube fest daran, dass sich so die Tiefen dieser Philosophie erschließen. Es ist dann egal, an welcher Ecke mit dem Erforschen begonnen wird. Wichtig ist, dass überhaupt der Wunsch zum Verstehen da ist. Alles andere kommt von allein.
Mit der Zeit erschließen sich die Elemente der Techniken und auch das Bewusstsein dafür, dass sie in jeder vorhanden sind. Das Wissen darum öffnet die Türen zu neuen Ufern.
Ich bin gespannt, wie es dort aussieht.
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Anm. z. Titel: Die Überschrift „Das fünfte Element“ ist aus einem Kinofilm mit Bruce Willis entliehen. Hier rettet eine fremde Zivilisation die Erde, bewahrt die Menschen vor einer Apokalypse und führt zu einem Frieden.
„Tegatana“ ist eines der Elemente der Aikido-Techniken, die einen Angriff friedvoll beenden können.
[1] http://www.taichi-chuan-luebeck.de/aikido-elemente.html##4.4
Gibt es auch etwas Vergleichbares zu „handzahm“?
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Mir fällt keine Metapher für „handzahm“ ein, doch das Wort selbst schafft es, in unserem Kopf Bewegung hinein zu bringen: Einerseits denken wir an die Bedeutung: Ein Tier ist zahm genug, dass es eine menschliche Berührung nicht scheut. Sprechen wir das Wort aus, so aktivieren wir andererseits durch das inne liegende Wort „Hand“ eine Region in unserem Kopf, die eigentlich für die Arm- oder Beinbewegung verantwortlich ist. Natürlich besteht jetzt noch die dritte Möglichkeit, dass du etwas ganz anderes meinst.. 🙂
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