Schublade auf, Schublade zu

Siegfried der Drachentöter war auch völlig überrascht, als ihn das Schwert niederstreckte. Hinterrücks erfasste ihn das Eisen, obwohl er sich völlig sicher fühlte. Nun gut, die ganze Geschichte war ein wenig länger her, doch sie zeigte sehr deutlich, was das Wort „sicher“ bedeuten konnte: Es war lediglich ein Gefühl und kein Fakt.

Heutzutage hingen Schwerter höchstens an der Wand oder es wurde spielerisch damit gekämpft. Nur im übertragenden Sinne nutzten wir gern und häufig diesen spitzen Stahl zur Verletzung anderer. Wer fühlte sich nicht schon einmal durch Worte fast „tödlich“ getroffen? Wer empfand nicht schon „mörderische“ Gedanken, da er Verletzungen durch Gesagtes nicht ungesühnt lassen wollte? Wahrscheinlich beherbergte jeder von uns solche Überlegungen und war sich überhaupt nicht dieser gewalttätigen Ader in seinem Inneren bewusst. Schließlich händelten wir so manchen Gedanken einfach „gedankenlos“ und wussten im wahrsten Sinne nicht, was wir da eigentlich taten.

Jeden Tag suchte ich einen anderen Waldweg für Chapper und mich. Wir waren früh dran und niemand schien diese wunderbare Luft genau an diesem Ort genießen zu wollen. Total im Gedanken versunken trödelte mein Hovawart am Wegesrand herum und fraß von den frischen Gräsern. Ich schaute in die Baumwipfel, auf den Boden und betrachtete die Rinde der nahestehenden Eiche. Das Tapsen von Schuhen holte uns aus den morgendlichen Träumereien heraus. Mein Hund kaute weiter an den einzelnen Halmen und ich sah neugierig den Weg hinunter. Eine Biegung versperrte uns die Sicht, so dass wir die Joggerin erst kurz vor uns wahrnahmen. Nachdem Chapper die Ursache der Geräusche erkannt hatte, widmete er sich wieder dem Wegesrand und ich trat an seine Seite und somit auch auf die lange Laufleine. Sicher ist sicher, schließlich könnte jeder Jogger den Jagdtrieb meines Hundes herausfordern.

Mit „Moin“ begrüßte ich die mir entgegenkommende Frau, nicht nur weil ich ein großer Anhänger der freundlichen Kommunikation war, sondern auch wegen meines Hundes. Irgendwann stellte ich auf den Spaziergängen fest, dass jeder, den ich begrüßte, für ihn ein freundliches Wesen war; er brauchte mich nicht zu beschützen.

Mein Lächeln verrutschte ein wenig, als ich das Gesicht der Frau sah, die mich nach bester Manier böse anblitzte. Ohne darüber nachzudenken, griff ich doch noch schnell zur Leine.

„Wird ja auch Zeit!“

„Äh…, wie bitte?“

Die Joggerin rauschte in dunkle Wolken gehüllt an mir vorbei und ich schaute ihr hinterher. Sie drehte sich kurz um und keuchte mich völlig aus der Puste an:

„Ich bin von so einem Köter bereits angefallen worden!“

Meine erste Antwort verkniff ich mir. Wenn ich Hund wäre, hätte ich sie auch beißen wollen.

„…aber nicht von meinem Hund…“ In meinen Augen war dies ein Einwand, der schon ein wenig zählte.

Ohne sich nochmals umzudrehen, aber mit einer deutlichen Aussage behaftet, antwortete sie mit:

„Das nächste Mal gibt es richtigen Ärger!“

Ich stand da und schaute meinen Hund an. Da spazierte ich durch den Wald und wusste überhaupt nicht, mit welchem Stigma ich behaftet war. Ich war Hundebesitzerin! Kennste einen, kennste alle.

Siegfried hätte nur gelächelt, schließlich ging es hier nicht um Leben oder Tod, doch…

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!