Die Morgensonne gibt ihre ganze Kraft und wärmt mir den Rücken, während ich meine frisch vom Markt geholten Pflanzen mit einem Sprühnebel verwöhne. Versunken in der Betrachtung höre ich dabei Musik. Die herunterfallenden Wassertropfen formieren perfekte Halbkreise, ganz weich und vollkommen, als hörten sie ebenfalls die Harmonien und bewegten sich danach. Ohne es zuerst zu bemerken, werde ich immer ruhiger. Ich fühle mich aufgehoben, als läge eine Hand über genau diesem sonnigen Moment. So könnte ich ewig stehen.
Langsam verändere ich die Richtung des Wassers und hebe die Fontäne vor mein Gesicht. Während Millionen Tröpfchen hinunterfallen, offenbart sich die Anwesenheit von mehr: Das weiße Licht der Sonne löst sich in Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett. Die Farben des Regenbogens! Ich freue mich über den bunten Anblick und folge dem Verlauf des Bandes. Es ist mein Bogen, mein eigener, ganz für mich allein! Begeistert betrachte ich meine Umgebung genauer. Es ist kein Bogen, es ist ein Kreis, der kurz vor meinen Füßen beginnt und gleichmäßig links und rechts von mir nach außen führt. Ungefähr fünf Meter in der Höhe finden sich die Enden zusammen. Verändere ich meine Position, dann nehme ich meinen Kreis mit mir. Er ist da, immer. Mit den Wassertröpfchen ist es mir möglich, ihn zu sehen. Ich kann mich hinknien oder strecken, die Größe des Kreises verändert sich nicht.
Ich sehe etwas, was ich unter normalen Umständen niemals wahrnehmen würde. Bei diesem Gedanken schleicht sich eine Frage in den Vordergrund: Ist es dem Menschen überhaupt mit den Sinnen immer möglich, das Vorhandene zu erkennen? Was begleitet noch meinen Weg, führt mich oder bewahrt mich vor Schlimmem? Möchte ich es wissen? Möchte ich alles durchschauen oder möchte ich mich einfach führen lassen? Nun, es gibt Fakten: Staub der Schmetterlinge lässt sich einfangen, weiße Drachen existieren und Leben entsteht.
So denke ich an das Bunte um mich herum und betrachte es, bis mir meine Augen das Bild auch geschlossen in meinen Träumen zeigen könnten. Worte entstehen, versuchen das Bild einzufangen, vermengen sich aber mit meinen Empfindungen und scheinen deshalb immer ein wenig in Farbe getaucht.
Kluge Bücher verraten, dass Regenbögen ihr Halbrund aufgrund der Erdform so zeigen, im Boden versinken und niemals als Kreis sichtbar werden. Warum sehe ich meinen Regenbogen in Gänze? Fragen scheinen kein Ende zu finden. Ich fühle mich manchmal, als ginge ich suchend durch Katakomben, die mir immer nur ein Stück des Weges offenbaren und erst nach einigen Metern etwas Neues sichtbar werden lassen. Es gibt Menschen, die behaupten, Wissen entzaubert. Das stimmt nicht. Wissen führt immer tiefer in die Geheimnisse hinein. Das Größte liegt darin, dass es immer welche geben wird, da die Welt so mannigfaltig in sich verwoben ist und gleich einem Kreis das Wesentliche zusammenführt, eine neue Farbe hinzufügt und sich über das Staunen der Menschen freut.
Ich schließe den Wasserhahn und ein Gedanke bleibt: Mein Regenbogen ist immer da, egal, wo ich mich befinde, egal, was ich tue, egal, was ich denke. Das fühlt sich gut an.
Wir sind immer rund.
Ich musste an den Regenbogen denken, den ich tatsächlich mal als Kreis während eines Fluges gesehen habe. Es war eine schöne Erfahrung und zeigte mir, dass alles im Leben eine schöne runde Sache sein kann, auch wenn wir es gar nicht erwarten. 🙂
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Oh wie schön! Das muss wunderschön ausgesehen haben! 🙂
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Ja, es war tatsächlich etwas besonderes.
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