Mittlerweile wurde ich mehrmals darauf angesprochen, dass meine Aikido-Texte für einen Nicht-Aikidoka doch recht tief in die Thematik einsteigen. Einen großen Dank an all diejenigen, die trotzdem das Wagnis auf sich nehmen und diese lesen! Darüber freue ich mich sehr! Ehrlich gesagt, bin ich schon sehr bemüht, mich nicht in den Begriffen zu verlieren. Andererseits ist ein Text, der von einer großen Portion Leidenschaft getragen wird, immer ein Ausdruck des Schreibers im Moment des Seins. Ich kann nicht anders … 🙂
Hier nun: Himmel und Erde
Viel Intention, viel Fokus und viel Freude … Aikido ist immer ein „Viel“. Ein Grundprinzip, das sich in manchen Techniken besonders offenbart. Vielleicht ist es auch nur das Bemerken von Vorlieben. Es gibt Lieblingstechniken und solche, die ganz bestimmt dazu werden: Tenchi-nage …
Je öfter ich mich dieser Technik näherte, umso öfter zeigte sich eine gewisse Komplexität, die mich beim Ausführen einfing und mittrug. Es ist eine elegante Form und es ist eine macht-volle Technik, denn sie „macht“ etwas mit mir und meinem Angreifer: Sie gibt etwas, was mich füllt und mitnimmt.
Meine linke Hand wurde von meinem Gegenüber spiegelsymmetrisch ergriffen und saugte sich förmlich an die Außenseite meines Handgelenkes. Der Kontakt war da, wenn mich mein Angreifer mit gleicher Konzentration ergriff. Ich spürte den Impuls. Der Fokus wurde bildhaft gesehen gepackt und genau an diese Stelle gezwungen; ich konnte es nicht verhindern und ich wollte es auch nicht, denn es ist das Tor zum Zentrum meines Trainingspartners.
Meine Wahrnehmung begann am Handgelenk, trug sich weiter über den Arm, über die Schulter, über den Brustkorb und endete schließlich im unteren Bauch des Anderen, der diese Verbindung ebenso bemerkte. Blieb dieser Kontakt bestehen, so führte er den Angreifer zwingend in die vom ausführenden Aikidoka gewünschte Richtung.
Mein linker Fuß schob sich in dem Moment seitlich an dem Fuß meines Gegenübers vorbei, sodass mein Körper von dem anderen nur noch eine Winzigkeit entfernt war. So entstand eine direkte Präsenz, die vielleicht noch keine Bedrohung darstellen sollte, doch ganz bestimmt die Aufmerksamkeit einfing.
Während dieses Verschiebens des Fußes führte ich meine ergriffene Hand vertikal nach unten und drehte die Handinnenfläche leicht nach außen. Diese nach unten führende Hand spielte die entscheidende Rolle, da sie die Balance meines Angreifers zum Wanken brachte. Gefühlt gleichzeitig geschehen verschiedene Dinge: Mein Körper drehte sich leicht zu meinem Gegenüber, hob die rechte Hand vertikal nach oben und führte diese an der mir gegenüberliegenden Seite des Kopfes meines Gegners vorbei. Zudem schritt ich in diesem Moment mit meinem rechten Fuß direkt hinter die Füße des Anderen und zwang ihn dadurch, seine Balance völlig aufzugeben; er fiel.
Als Betrachter zweier Trainierenden sah es aus, als trennte der Aikidoka einen vor ihm befindlichen Vorhang, die eine Hand unten, die andere oben. Der Ausführende spürte, dass es auch so war. Die Angriffsenergie erfuhr eine diagonale Teilung und wurde gleichzeitig absorbiert. Zudem unterstützte die eigene Fußarbeit mit einem Zickzack den Fall des Angreifers.
Was ist nun das Besondere daran? Was besitzt diesen Reiz des Außergewöhnlichen?
Wir Menschen sammeln unsere Informationen aus tausend aufgenommenen Eindrücken unserer Sinne. Diesen Vorgang bemerken wir kaum, er ist subtil vorhanden. Wir denken nicht darüber nach. Das ist auch gut so, wir täten sonst nichts anderes, was ausgesprochen schade wäre.
Ich bin davon überzeugt, dass wir ein Teil eines Ganzen sind. Dieses Ganze ist jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze und alles, was wir bis heute noch nicht bestimmen können. Tenchi-nage ist für mich ein Ausdruck dieses Gedankens. Wir als Lebewesen verweisen mit unseren Händen auf das, was wir als Verbindungsstück zusammenführen. In einer Nanosekunde des Menschseins teilen wir Energieströme, die uns als entgegengebrachter Impuls geschenkt werden.
Wir „teilen“ in der Ausführung der Technik. Wir „teilen“ aber auch im Miteinander, indem wir unsere absolute Aufmerksamkeit dem Gegenüber entgegenbringen.
„Teilen“ ist ein Geschenk!
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Trainingsort: http://www.aikidozentrum.com
Teilen ist ein wichtiger Begriff unseres Daseins. Der moderne Mensch teilt in facebook seine Meinungen mit teilweise unbekanntem Gegenüber, Politiker teilen ihre Meinungen oftmals aus Sachzwängen heraus mit ihren Leadern.
Mann und Frau teilen oftmals Tisch und Bett miteinander.
Das sind nur einige Beispiele, in den der Begriff teilen eine Rolle spielt.
Wo wir aber nicht mehr teilen wollen ist eine Sachlage, in der es um unseren eigenen Vorteil geht. Man nennt so etwas auch Egoismus. Dieser hat unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt weitgehend zunichte gemacht.
Wenn ich nun meine Empfindungen mit einem Menschen teile und er die seinigen mit mir, dann gehen wir aufeinander ein und versetzen uns in die Lage des Anderen. Dafür gibt es den schönen Begriff Emphatie. Diese scheint für viele nicht mehr praktikabel zu sein.
Man sieht, mit dem Wort teilen läßt sich selbst der Zustand einer Gesellschaft beschreiben.
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Vielen Dank für Deine Worte! Sehe ich auch so 🙂
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