Leidenschaften sind niemals langweilig. Sie tragen uns mit Vergnügen über viele Stunden, lassen uns den Alltag vergessen und zaubern ein immerwährendes Lächeln in unser Gesicht.
Am Osterwochenende begannen für mich bereits beim Bahnfahren in Richtung Berlin die ersten Gespräche über mein Lieblingsthema der folgenden Tage: Aikido hoch, runter, quer! Ein schwedischer Lehrer trainierte in der Hauptstadt. Viele wollten kommen, um bei seiner weichen und zugleich sehr ausgeprägten Art des Aikidos dabei zu sein. Einige begleiteten sogar einen Teil seiner Reise von Stadt zu Stadt, weil es nicht immer einfach war, eine schöne Zeit beenden zu müssen.
Endlich am Ziel angelangt, lag ein Teil des Vergnügens darin, all die bekannten Gesichter zu begrüßen und auch neue kennen zu lernen. So manche Freunde trafen sich nur zu solchen Seminaren, da sie aus allen Ecken des Landes zusammen kamen. Mich erinnerte solch ein Gewusel oft an die Aufgeregtheit bei Klassenfahrten, die immer eine gute Zeit versprachen. So war es auch dieses Mal:
Obwohl uns nicht viel Raum zur Verfügung stand, da so viele gekommen waren, ließ sich unser Lehrer nicht beirren und vollbrachte das Kunststück, mit dem Bokken Neues ohne gegenseitige Verletzung zu vermitteln. Unermüdlich ging er durch die Reihen, um ohne Worte jedem das Wesentliche einer Übung erfühlen zu lassen. Einige brauchten zwei Wiederholungen, andere fünf und wieder andere erfassten den Kern durch Zufall. Er sagte selbst einmal, dass es wichtig sei, das Wesentliche zu spüren; wenn diese Hürde nach Jahrzehnten der Übung genommen wurde, können daraus ausgefeilte und doch spielerische Techniken entstehen, die trotzdem den jeweiligen Moment als Grundlage für eine Handlung berücksichtigten.
Beim Bokken-Training blieb die Zuordnung zu einem Trainingspartner über die ganze Zeit bestehen, damit der Kämpfende ein Gefühl für sein Gegenüber entwickeln konnte. Konzentriertes gegenseitiges Fixieren war notwendig für ein sicheres Agieren in den Bewegungen. Ich besaß das Glück, mit einer exzellenten Lehrerin trainieren zu dürfen. Ihre Augen fixierten meinen Blick und trotzdem erfassten sie jede noch so winzige Kleinigkeit, die ihr während meiner Ausführung auffiel.
Es war erstaunlich, wie viele Informationen innerhalb einer Bewegung Verarbeitung finden konnten und auch sollten. Vermutlich war es wie beim Erlernen des Autofahrens; manche Dinge mussten tausend Mal wiederholt werden, damit kein Gedanke daran verschwendet wurde, wie etwas durchzuführen war. Manche Fehler mussten immer und immer wieder korrigiert werden, bevor sich ein sicheres Ausführen ohne eine bewusste Überlegung einstellen konnte. Ich war ob der besonderen Situation aufgeregt und blieb dadurch ungenau in meinen Ausführungen.
Während des Trainings hielt sie in ihrer Bewegung inne, flüsterte mir ein „Stopp“ zu und verwies auf das zu Korrigierende. „Wie steht dein rechter Fuß?“ In der Bewegung gefroren, schaute ich auf meinen Fuß, der gerade einen Schritt machen wollte. Mit dem durchgeführten Ausfallschritt zeigte meine Fußspitze nach vorn. Sie bat mich, diese etwas nach rechts außen zeigen zu lassen, um mir selbst einen besseren Stand zu ermöglichen.
„Wie steht dein rechtes Knie?“ Also wanderte mein Blick ein Stück höher. Naja, vor der Verschiebung mit meiner Fußspitze zeigte es auch in die Richtung meines Fußes, doch nun nicht mehr.
„Wie hast du deinen Fuß aufgesetzt?“ Etwas angestrengt, versuchte ich mich an meinen Ausfallschritt zu erinnern. Ich konnte wahrlich nicht sagen, auf welche Art und Weise ich meinen Fuß innerhalb der Bewegung gesetzt hatte. Meine Konzentration lag innerhalb des Schlages. „Du bist mit der ganzen Sohle aufgekommen.“ Oh. Sie zeigte mir ihren Schritt, der nun mit der Fußspitze zuerst aufsetzte und dann geschmeidig den Rest folgen ließ. Es war eher ein Ertasten des Bodens, ein leises Heranpirschen gleich einer Katze.
„Wie steht deine Hüfte?“ Meine Lehrerin zupfte an meinem Gi, um meine Hüfte zu bewegen. „Sie bleibt so.“ Langsam begann ich zu schwitzen. Das waren schon ganz schön viele Punkte für einen einzigen Schritt.
„Was kommt in der Bewegung zuerst? Dein Körper oder der Fuß?“ Mit solch einer Formulierung ergab sich die Antwort von allein und eigentlich kannte ich die zu berücksichtigten Punkte bereits. Trotzdem war ich noch nicht so weit, dies alles bei Aufregung umzusetzen. Die Verankerung in meinen Erinnerungen, die wiederum meinen Körper leiten sollten, hatte bisher nicht wirklich stattgefunden. Außerdem war die Umsetzung nicht besonders einfach. Wenn der Körper zuerst kam, dann fühlte es sich an, als fiele ich eine Klippe hinunter, ohne zu wissen, wann der rettende Halt sichtbar wird. Doch den Unterschied in der Intensität des Schlages bemerkte ich sofort. Es bedurfte einige Wiederholungen, die sie entweder mit einem Kopfschütteln oder einem begeisterten Nicken kommentierte. Ihre Augen blieben auf meinem Blick fixiert. Sie nahm alles wahr.
Das Besondere lag nicht in dem, was sie mir sagte, das Besondere lag darin, dass sie mir es sagte. Eine mir im ersten Moment noch fremde Waffen-Lehrerin unterwies mich als Anfängerin sehr ernsthaft, mit viel Ausdauer und einer Freundlichkeit, die mich durch die Stunde trug und zu keinem Zeitpunkt verzweifeln ließ. Sie wollte ihr Wissen teilen und schenkte mir ihre Zeit.
In meinen Augen zeigte sich hier eine der großen Besonderheiten von Seminaren: Es trainierten Anfänger, Fortgeschrittene und sehr weit Fortgeschrittene miteinander. Jeder gab, was er für sein Gegenüber in diesem Moment geben konnte. Menschen verschenkten Zeit, Aufmerksamkeit und immer wieder ein besonders Lächeln an den Anderen. Schön, dass es solche Veranstaltungen gibt. 🙂
Anm. z. Text:
Ein Seminar mit Jorma Lyly (6. Dan Aikikai) aus Schweden; vielen Dank Jorma, ich habe sehr viel gelernt!
Vielen Dank Ishlar!
Hört sich sehr gut an, ich wäre am liebsten dabei gewesen 😉
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