Sie war da, wie der aufkommende Wind, ein Wolkenbruch oder die einlaufende U-Bahn, obwohl ich noch 100 Meter entfernt war. Aggression schwebte in der Luft. Es war mitten in der Nacht und nur wenige Menschen standen auf dem Bahnsteig.
Verzerrte Gesichtszüge blickten mich an. Zorn, Hass und aufgestaute Wut schienen sich in diesem Moment zu entladen und mir mein Recht auf das Dasein streitig machen zu wollen. Warum glaubte mein Gegenüber, auf diesem Wege derart auf mein Leben Einfluss nehmen zu dürfen? Warum glaubte mein Gegenüber, dass ein Miteinander nur mit der Dominanz eines Einzelnen funktionierte? Wusste er nicht, dass sein Weltbild, seine Definition von Gut und Böse und meine Welt nicht übereinstimmten, ja, dass kein Weltbild mit dem eines Anderen vergleichbar war? Jede Erfahrung färbte unsere Betrachtung des Seins, jede Qual und jede Liebe hinterließ tiefe Spuren auf unserer Seele. Also, warum sollte das Weltbild eines Anderen meinem überlegen sein?
Die Faust meines Gegenübers zeigte sich meinem Bewusstsein als eine Momentaufnahme des Lebens, das uns nicht immer nur das Schöne bereithielt. Konnte ich mit dieser Perspektive überhaupt eine richtige Entscheidung treffen? Beginne ich kurz vor dem Auftreffen seiner Faust wirklich darüber nachzudenken, ob meinem Gegenüber eine weitere Option zur Handlung in diesem Moment fehlte und er keine Möglichkeit in seinen Gedanken sah, die Gestalt annehmen könnte? Empfand er mich als williges Opfer und schlug mir die Faust in die Magengrube?
Gewalt stand immer am Ende einer Sackgasse! So galt es, genau in diesem Moment die mir erscheinende Gefahr mit ihrer Wucht mit einem kleinen Schritt zur Seite ins Leere laufen zu lassen und mit einer Drehung des Körpers und meinen Händen auf seinem Arm zu begleiten. Meine Finger spürten die Überraschung des Angreifers, die den Widerstand vermisste und diesen Verlust sogleich mit einem weiteren Auf-mich-losstürmen versuchte zu korrigieren. Auch dieses Entgegenkommen wurde mit einem tiefen Stand innerhalb einer abwendenden Drehung weich begleitet, so dass der Angreifer aufgrund seines eigenen Ansturms sich selbst aus dem Gleichgewicht brachte. Diese Haltlosigkeit unterstützte ich mit einem nach hinten führenden Schritt, und „überredete“ den Gewaltbereiten, der mir nun gegenüber steht, mit einer „sanften“ Verdrehung seiner Finger, somit seines Unterarms und somit seiner Schulter und schließlich seiner gesamten Achse, sich von mir abzuwenden und ein gewisses Maß an Sicherheit auf dem Erdboden zu suchen.
Die Energien sind umgeleitet und einer Gefährlichkeit und Zerstörung enthoben. Es ist ein Neuanfang möglich, der vielleicht mit dem Verpuffen der Gewalt den klareren Blick meines Gegenübers wieder an die Oberfläche kommen ließ. Die Situation endete mit einem Moment, der mit der Akzeptanz der Einzigartigkeit des Einzelnen und seines individuellen Weltbildes niemals einen Anfang gefunden hätte.