Was will ich denn nun?

In einem Moment möchte ich „ja“ sagen, in einem anderen „nein“. Wer soll sich in diesem Durcheinander auskennen? Eigentlich ich selbst, schließlich bin ich es, die hier denkt oder es glaubt zu tun. Eigentlich hat Denken immer ein Ergebnis, doch manchmal beschleicht mich das Gefühl, mit mehreren Personen in einem Raum zu stehen, die alle unterschiedlicher Ansicht sind. Manchmal führen wir die Diskussion wie zivilisierte Menschen, manchmal ziehen sich Beteiligte völlig eingeschnappt in die Ecke zurück und sagen überhaupt nichts mehr und manchmal hauen wir uns gemeinsam die Köpfe ein. Sobald die eher brutale Möglichkeit die Oberhand gewinnt, ist es Zeit für mich den Schlaf zu suchen; mein Unterbewusstsein darf sich dann austoben und präsentiert fast immer eine Lösung an dem nächsten Morgen. Der Schlaf ist eine sehr praktische Angelegenheit.

Leider habe ich nicht immer 24 Stunden, um auf eine Antwort warten zu können. Wäre unser Entscheidungsweg immer so lang, bräuchten wir schlicht und einfach die doppelte Lebenszeit, um über uns selbst hinauszuwachsen. Deswegen gibt es oft Entscheidungen aus dem Bauch heraus mit einer nachhaltigen, klitzekleinen Unsicherheit, die uns intuitiv überfällt.

Ich saß bei meiner Freundin, die ganz begeistert diesen kalten und doch sehr sonnenbeschienenen Sonntag-Nachmittag mit einer riesigen selbstgemachten Torte zelebrierte. Oberlecker! Schwarzwälder-Kirschtorte, sehr schmantig, sehr schokoladig, sehr kirsch-fruchtig und eine Wucht in jeglicher Hinsicht. Von den normal großen Stücken schaffte ich unter günstigen Umständen, also ohne Frühstück und am besten auch noch am Nachmittag mit leerem Magen, drei Stücke. Danach war mir immer schlecht, doch wann ist es einem nicht? Leben musste zelebriert werden!

Aufmunternd nickte meine Freundin mir zu, da ich mit dem Löffel in der Hand dasaß und mindestens schon 30 Sekunden zögerte, den ersten Happen auf der Zunge zerschmelzen zu lassen. Wir hatten uns schon länger nicht gesehen und gesprochen, deshalb gab es tausend Themen, die als bunte Bälle durch die Luft schwebten. Die Torte war nur ein I-Tüpfelchen auf unser Beisammensein. Sie gehörte jedoch dazu wie der Mond zur Erde, wie das Lachen zum Fröhlichsein oder wie der Maikäfer zum Frühling, wenn er durch das grüne Gras hervorkrabbelt und zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt. Ich zögerte und sie merkte es noch nicht. Wie sage ich es ihr? Ich musste mich jetzt entscheiden, ja oder nein, nein oder ja, es gab kein Dazwischen.

Es ist Fastenzeit und ich hatte mich entschieden, diesmal auf zusätzlichen Zucker zu verzichten. Das Süße im normalen Essen konnte ich kaum verhindern, selbst Ketchup scheint diese leckeren weißen Würfel als Basis-Zutat zu verwenden; doch Kekse, Kuchen, Bonbons, Honig-Brot oder die leckeren Vollmilch-Eszet-Schnitten auf Butterbrötchen ließen sich vermeiden. Nach drei Tagen Voll-Entzug ist das Einkaufen in einem reichhaltig bestückten Supermarkt körperlich kaum verkraftbar. Deshalb war ich nun besonders stolz auf die bereits vielen zuckerfreien Tage, die mir bewiesen, wie sehr ich standhaft sein konnte und wie strikt ich etwas tat, was ich mir vornahm.

Besonders kluge Menschen rieten bei einer Ja/Nein-Entscheidung lediglich die Anzahl der gefundenen Punkte auf jeder Seite zu summieren, damit ein eindeutiges Ergebnis vorläge. So ein Quatsch! Ich hatte noch nie zwei gleich gewichtete Argumente gefunden, die sich gegenüber gestellt werden konnten, ohne einen Unterschied zu offenbaren. Welchen Sinn hätte dann ein Summieren? Das Ergebnis wäre immer schief.

Jetzt sitze ich vor einer begeistert gestikulierenden, sehr liebenswerten Frau, die heute Morgen meinetwegen in der Küche stand und etwas nur ganz allein für mich zubereitete, weil sie wusste, dass ich für ihren Schwarzwälder-Traum sonst etwas täte. Ist es dann überhaupt noch eine Frage? Was stellte ich hier gegenüber? Warum tat ich das eine und das andere nicht? Wie weit würde ich in meiner Argumentation gehen? Wie gut kannte ich mich selbst, um definitiv sagen zu können, warum ich gewisse Dinge tue oder nicht? Wäre ich nicht von mir selbst enttäuscht, wenn ich nicht stark bliebe? Natürlich wäre ich das! Sehr sogar! Meine Worte verhallten im inneren Diskussionsforum und ich wusste ganz genau, dass sie sich vor dem schweigenden Mahnmal ergaben, das ein Bild meiner enttäuschten Freundin zeigte, die mir etwas schenkte. Ich würde ein Geschenk abweisen, das ganz allein für mich gedacht war; welche Bedeutung besitzt dann noch ein zur Schau gestelltes Durchhalten einer mir selbst gestellten Aufgabe? Oh ja, ich nahm diese Aufgabe ernst und ich gab sie nicht leichtfertig auf, doch demgegenüber stand ein Lachen über mein zufriedenes Schlemmen und damit ein Freuen über die Annahme eines persönlichen Geschenkes. Gab es dann überhaupt zwei Meinungen? Eindeutig nein.

Ich aß vier Stücke und mir war sehr schlecht. Trotzdem schien die Sonne weiterhin und unser Lachen über unsere gefüllten Mägen hallte noch bis in den Sommer hinein, der uns mit Sicherheit unzählige Abende mit viel zu viel selbstgebackener Pizza bringen würde. Das Leben war schön!