Das Aufeinandertreffen von Menschen fordert uns heraus! Wenn Andere den Raum mit uns teilen, dann lassen wir unseren Blick gern überall schweifen: Sehen wir vielleicht Bekannte, sehen wir Freunde oder entdecken wir aufregende Merkwürdigkeiten wie verrutschte Wimpertuschen, auffallende Dekolletés oder eine wirklich unmögliche Kleidungsvariante, die uns amüsiert? Es ist ein Hunger nach Unterhaltung des Geistes, der seine Anforderungen auf diese Art und Weise sucht und mit Leichtigkeit finden kann. Schließlich faszinieren solche Merkwürdigkeiten nicht nur als eine bemerkenswerte Tatsache; sie eröffnen das ewige Spiel des Vergleiches unseres eigenen Seins mit dem Rest der Welt.
Ähnlichkeiten verführen uns zum angenehmen Gefühl des Normalseins, des Gefühls des Richtigseins. Es ist ein Gefühl, das wir suchen. Allein die Entscheidung über das Tragen einer bestimmten Kleidung kann uns glücklich machen oder die Tore zur Hölle öffnen, wenn eine Bekannte sagt:
„Ach, das ist ja ein nettes Kleid. Das habe ich bei unserem letzten Treffen sofort gesehen…“
Das Erstaunen über geäußerte Unverfrorenheiten entlädt sich im schönsten Falle in einem lauten Lachen, gibt unseren Wangen das Rosé der Freude und vor allem das sichere Gefühl, Herr der Situation geblieben zu sein. Was kratzt es die riesige Eiche, wenn der Hund sein Bein hebt? Die Zufriedenheit über eine ebenso schneidende Erwiderung währt nur einen winzigen Moment; der schale Geschmack, das niedrige Niveau des Gegenübers zu teilen, lässt sogar diesen kleinen Augenblick verpuffen und als überhaupt nicht gegeben erscheinen. Es wäre ein Kanonenschuss auf einen Spatzen.
Viel interessanter erscheint die Frage, die sich unweigerlich in diesem Moment mit einem inneren Lächeln eröffnet: Wie klein ist das Selbstbewusstsein meines Gegenübers wirklich? Klein oder sehr klein? Solche Gedankenspielereien entwickeln sich für einen selbst zu einem köstlichen Bonbon der Genugtuung. Auch wenn diese beginnende innerliche Revanche ihre eigenen Regeln besitzt und vielleicht ein klitzekleines Bisschen, bei genauerer Betrachtung, seine bedenklichen Nuancen in sich birgt, so breitet sich die Belohnung des Gedankens bereits als warmes Empfinden über alle innere Räume aus.
„Oh, danke.“
Mit suchender Aufmerksamkeit scannt die sich Bedankende ihr Gegenüber und findet das, was ihr Auge sucht. Etwas tatsächlich Hübsches. Die Dame mit der subtilen hässlichen Bemerkung hat nun verloren. Das Armband hebt sich durch den Eindruck eines ausgesuchten Geschmackes hervor und lohnt deshalb der genaueren Betrachtung. Ein reger Austausch über Material und Herkunft bringt Freude auf, lässt die Besitzerin vor Stolz glühen und trägt sie wahrscheinlich durch den Abend.
Ich betrachte ihr glückliches Gesicht und fühle mich unwohl. Oberflächlich gesehen, habe ich die Wahrheit gesprochen. Mir gefällt etwas und sage es. Doch blättere ich sozusagen die Patina dieses Eindrucks ein wenig herunter, so zeigt sich eine hässliche Revanche, die meinem durch die Bemerkung angeknacksten Selbstwertgefühl ein wenig auf die Sprünge helfen soll. Ich möchte der Dame mit einem Lächeln zeigen, wie sich zivilisierte Menschen untereinander benehmen; wie hochmütig von mir. Sie nimmt meine Äußerung als eine ehrliche Bewunderung (was oberflächlich ja auch stimmt) und freut sich, ohne darüber nachzudenken, dass ich genauso eine Zicke sein konnte, wie sie es eben war, da ich mein Lob bewusst platzierte.
Weil wir uns immer besser unterhalten, trinken wir gemeinsam die Bowle vom Buffet und zwei Stunden später stoßen wir auf unsere Brüderschaft an, naja Schwesternschaft an. So ergeben sich mit dem Fortschreiten des Abends eine Vielfalt an Themen, die sozusagen noch ein Geständnis meiner neuen Busenfreundin beinhaltet: Als wir uns auf der letzten Party vor sechs Monaten trafen, wog mein Gegenüber noch zehn Kilo weniger. Erschrocken schaue ich sie an, denn langsam dämmert mir der Ursprung ihrer ersten Bemerkung.
Vertraulich nimmt sie mich in den Arm und flüstert mir zu: „Weißt du, als ich dich vorhin hier in deinem Kleid sah, war ich ganz neidisch. Denn eigentlich wollte ich auch meines von der letzten Party anziehen und passte einfach nicht mehr hinein…“
Ich erwiderte ihre Umarmung und schwor mir für die Zukunft, Bemerkungen nicht sofort als einen Angriff auf mich zu verstehen. Ich weiß nicht, ob es mir immer gelingen wird, doch ich werde es versuchen. Heute sind wir Freundinnen und ich bin glücklich, auf der Party einen solch netten Menschen kennengelernt zu haben.
Wir Menschen sind einfach Menschen – nicht mehr oder weniger.
Oh je, ich fühle mich selbst ertappt! Es ist eine ständige Herausforderung, eigene Situationen zu hinterfragen….
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